Open Password – Mittwoch, den
10. Oktober 2018
# 451
Steilvorlagen Update – Steilvorlagen für den Unternehmenserfolg – Wissenschaftliche Dienste des Bundestages – Guido Heinen – Fake News – Bundestag, 19. Wahlperiode – Quellen – Evaluierung – Validierung – Medien – Wissenschaft – Abgeordnete – Lobbyisten
Steilvorlagen Update:
Steilvorlagen Update:
Wissenschaftliche Dienste des Bundestages
Mit Mut zur reflektierten Unübersichtlichkeit und offenem Blick
auf komplexe Problemfelder
709 Abgeordnete der 19. Wahlperiode
mit unabhängigen Informationen versorgt
Open Password fragt in einer kleinen Serie Keynote-Speaker und Success-Story-Referenten, was sich seit ihrem Auftritt auf der Buchmesse-Veranstaltung „Steilvorlagen für den Unternehmenserfolg“ aus ihrer Sicht als Information Professional verändert hat. Guido Heinen ist Leiter der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages.
Als wir vor zwei Jahren auf der „Steilvorlagen“-Veranstaltung miteinander sprachen, gab es den Begriff der „Fake News“ schon, aber das volle Panorama an „Fake-News-Zusammenhängen“ hat sich erst in der Zeit danach entfaltet. Um mit einer Suggestivfrage zu beginnen: Sehen Sie die Entwicklung zu Fake News auch als einen frontalen Angriff auf Wahrheit, Wissenschaft und auf alles, wofür die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages stehen?
Der Versuch, politische Realitäten durch kreative Darstellungen zu modellieren, dürfte so alt wie die Menschheit sein. Gerade wir Deutschen mit unserer doppelten totalitären Erfahrung im 20. Jahrhundert kennen doch eigentlich das gesamte Spektrum an Desinformation, Propaganda und Lüge zu Genüge. Wissenschaft und Wahrheitssuche standen schon immer im Kreuzfeuer von Interessengruppen und politischen Mächten. Die Wissenschaftlichen Dienste sind heute genauso gefordert wie vor vierzig Jahren: Komplexe Themen müssen für den parlamentarischen Gebrauch zugänglich und verständlich aufbereitet werden – unparteiisch, überparteilich und neutral.
Und wie gehen Sie damit um?
Für uns ist Transparenz in der Darstellung und Herleitung sehr wichtig: die Offenlegung von Quellen, die Verifizierung von Zahlen oder Thesen und der breite, offene Blick auf komplexe Problemfelder sollen den Abgeordneten, die uns beauftragen, das Werkzeug für ihre parlamentarische Arbeit geben, zumindest schärfen. „Overnewsed but underinformed“ – diese griffige Formel gilt ja auch für manches Politikfeld heute. Also gilt für die Wissenschaftlichen Dienste, herauszufinden: Wo liegen die wesentlichen Informationen, was sind die Fakten, die unbedingt berücksichtigt werden müssen – und was ist eher Grundrauschen eines sich selbst vervielfältigenden Informationsstroms, der zwar immer breiter, aber nur selten tiefer wird?
In den Fällen, wo wir gutachterlich tätig sind, ist der Blick auf die Vielfalt der Debatte ebenso wichtig wie die gute, sachliche Begründung und transparente Herleitung einer Position, die ein Gutachter einnimmt.
Welche Quellen sind zuverlässig? Und im Falle einer Polarisierung der Meinungen: Wer hat recht? Da müssen auch Ihre Mitarbeiter ein Risiko eingehen.
Welche Quelle zuverlässig ist, weiß man erst, wenn man sie und ihren Ertrag geprüft hat. Sehr häufig finden wir – gerade bei kontroversen Themen – in verschiedenen Quellen relevante, belastbare und glaubwürdige Teile dessen, was wir zu einem neutralen Gesamtbild zusammenfügen wollen. Die Frage, „wer recht hat“, stellt sich in unserer Arbeit im Übrigen nicht. Wann immer wir gutachterlich arbeiten, bieten wir einen fokussierten Blick auf eine Einzelfrage und versuchen, auf der Basis aller relevanten Quellen und wissenschaftlichen Stimmen eine Analyse zu erarbeiten. Dem kann man folgen – oder auch nicht. Der Abgeordnete allein entscheidet, wie er damit umgeht.
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Abfragen klassischer Sachstände auch für 262 parlamentarische Neulinge – Debatten zwischen sechs Fraktionen tragen zur Intensivierung der Arbeit bei.
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Wie hat sich in den letzten zwei Jahren aus anderen Gründen Ihre Arbeit verändert, und was sind diese Gründe?
Unsere Arbeit ist seit Beginn der aktuellen 19. Wahlperiode, noch intensiver und lebendiger geworden. Das liegt zum einen daran, dass mit 709 Abgeordneten so viele potenzielle „Kunden“ wie noch nie im Deutschen Bundestag sitzen. Auch die Debatten zwischen sechs Fraktionen tragen zu dem bunten Bild bei. Das sehen wir an steigenden Auftragszahlen. Zudem sind 262 Abgeordnete zum ersten Mal im Parlament – hier besteht auch neuer Beratungsbedarf in Sach- und Fachfragen. Mit einem großen Teil der Aufträge werden klassische Sachstände abgefragt: Evaluierung, Validierung, saubere Faktensammlung sind nach wie vor das A und O parlamentarischer Zuarbeit.
Kommt Ihnen mit den Medien durch Zeitungskrise, Skandalisierung, Social Media usw. mehr und mehr ein wichtiger Partner für Ihre Arbeit abhanden?
Sicher tragen die Tendenzen der Zuspitzung und die Beschleunigung auf dem Informationsmarkt dazu bei, dass auch manch schräge oder falsche These schneller und ausgedehnter verbreitet werden kann. Zugleich ist die Medienlandschaft geschwächt, weil immer weniger originäre Nachrichtenquellen und Rechercheure auf dem Markt sind, statt dessen immer öfter das immer Gleiche in neuen Kanälen multipliziert wird. Medien sind jedoch kein „Partner“ der Wissenschaftlichen Dienste. Aber als unabdingbarer kritischer Resonanzboden für politisches Handeln sind sie im Diskurs, den auch wir verfolgen und abbilden, unabdingbar. Wenn in diesem Diskurs Vielfalt verschwindet, merken wir das indirekt auch daran, dass die Vielfalt des öffentlichen, des politischen Diskurses schwindet.
Und gilt dies tendenziell auch für die Wissenschaft, die durch eine immer weitergehende Spezialisierung und thematische Zersplitterung, unethisches Verhalten, Aufstieg von Predatory Journals, administrative Überlastung und weitere Faktoren zusehends tangiert wird?
Die rasante Spezialisierung der Wissenschaft war schon vor 45 Jahren, als die heutigen Wissenschaftlichen Dienste in ihren Anfängen steckten, Thema. Dies hat sich natürlich ausgeweitet und spiegelt sich auch in der notwendigen Spezialisierung der Parlamentarier wider – gerade in einem Arbeitsparlament, das Sachverstand in seiner Mitte kultiviert, um die Regierung effizient kontrollieren zu können. Die Versuche – und auch die Möglichkeiten -, diesen Informationsfluss zu steuern, einzuhegen, umzuleiten und zu manipulieren, sind nicht weniger geworden. Dies erkennt man aber nur, wenn man wie unsere 60 Gutachterinnen und Gutachter Experte auf seinem Wissenschaftsgebiet ist. Sie haben die Fachpresse im Blick, sind auf den einschlägigen Kongressen dabei, können eine der größten Parlamentsbibliotheken der Welt nutzen, einige sind selbst in Lehre und Forschung unterwegs. Nur wer sein Fach selbst beherrscht, kann darin anderen einen Überblick verschaffen.
Die breite Öffentlichkeit würde gern glauben, dass Sie den Lobbyisten mit ihrem Geld und ihrer unstrittigen wenngleich interessengeleiteten Kompetenz nicht gewachsen sind. Aber so ist es nicht, nehme ich an.
Stimmt. Wir müssen – anders als Lobbyisten – unsere Auftraggeber nicht in einer Agenda bestätigen, glücklich machen oder politisch in die Vorhand bringen. Unser Job ist es – und ich wiederhole mich, weil es wichtig ist -, präzise, neutrale Informationen für die parlamentarische Arbeit aufzubereiten. Allein dafür werden wir vom deutschen Steuerzahler bezahlt. In einem offenen, demokratischen Staat treffen verschiedene Interessen aufeinander – das ist legitim. Aber als Wissenschaftliche Dienste dürfen und wollen wir uns mit niemandem gemein machen. Da leisten wir uns doch lieber mal den Mut zur reflektierten Unübersichtlichkeit, bevor wir allzu einfache Antworten transportieren.
Es kann gar nicht anders sein, als dass Sie nicht gelegentlich mit unziemlichen Attacken konfrontiert werden, beispielsweise mit dem Ansinnen, eine Bestätigung vorgefasster Meinungen zu liefern.
Solche Ansinnen gibt es – aber angesichts von mehreren tausend Papieren, die wir jährlich erstellen, ist diese Handvoll Versuche ebenso selten wie vergeblich. ________________________________________________________________________
Die innere Unabhängigkeit der Abgeordenten stärken, die unsere Antworten in ihre Diskussionen einspeisen – das ist unser Erfolg.
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Ihre Auftraggeber, die Mitglieder des Bundestages und eventuell ein Bundestagsausschuss, stehen selbst unter besonderen Einflussnahmen und einem großen Druck. Das kann zu einer komplizierten Zusammenarbeit mit Ihren Mitarbeitern und zu einer Sie letztlich enttäuschenden Verwendung Ihrer Studienergebnisse führen.
Das sehen wir anders. Der politische Meinungskampf findet im Plenum, in den Ausschüssen statt – im Übrigen weitaus häufiger, als man es von außen denken mag, verbunden mit einem intensiven Ringen um valide Informationen und exakte Sacheinschätzungen. Wir spielen in diesem Ringen keine aktive Rolle. Unsere Ausarbeitungen beantworten Fragen, recherchieren Fakten, beurteilen juristische Zusammenhänge. Wenn, mal theoretisch gedacht, drei Abgeordnete dreier Fraktionen drei identische Aufträge auslösten, bekämen alle drei exakt die gleiche Antwort. Wie sie damit umgehen, obliegt allein ihnen.
Woran lässt sich letztlich der Erfolg der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages messen? An einer Versachlichung der Diskussion in Politik und Öffentlichkeit? Ein Leuchtturm wissenschaftlichen Arbeitens in einem wichtigen, aber nicht unbedingt freundlichen Umfeld zu sein? Dass Sie sich in Einzelfällen mit Ihren Empfehlungen in Ihren Studien durchsetzten? Oder an einer anderen Größe?
Ob wir relevant sind, entscheiden allein die Abgeordneten, die uns einen Auftrag anvertrauen. Wir freuen uns natürlich, wenn wir gefragt werden – allein in diesem Jahr schon rund 1500 mal. Die Mitglieder des Bundestages wissen, dass es in Zeiten, in denen oftmals Spin-Doktoren, Parteizentralen und Lobbybüros die Debatten versuchen zu steuern, eine Institution gibt, die eben genau das nicht macht. Die innere Unabhängigkeit des Abgeordneten, die unser Grundgesetz sehr hoch ansetzt, spiegelt sich eben auch in seinen Möglichkeiten, sich für seine Arbeit unabhängige, neutrale Informationen zu sichern. Das nutzen sowohl Oppositionsabgeordnete als auch solche der Regierungskoalition und speisen es in ihre Diskussionsprozesse ein. Das ist für uns ein Erfolg.
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