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Nachrichten – Freitag, den 12. Februar 2016

Rafael Ball (1)

Ein Insider-Blick aus der Schweiz
zu den Turbulenzen
um den Direktor der ETH-Bibliothek

Die Bibliothek als Sammlung
von Büchern hat ausgedient

Überleben nur als Informations-
und Kommunikationszentrum
mit elektronischen Inhalten

Von Stephan Holländer

Ein Interview in einer Sonntagszeitung hat die beschauliche Sonntagsruhe einiger Bibliothekare gestört. Heftige Reaktionen in den Sozialen Medien. Sturm im Wasserglas oder berechtigte Empörung?

Rafael Ball hat in seiner Eigenschaft als Direktor der ETH-Bibliothek der Neuen Zürcher Zeitung am Sonntag (NZZ-So) ein Interview gegeben, in dem er in der Quintessenz sagt, dass das bisherige Konzept der Bibliotheken nicht mehr funktioniere, da jetzt das Internet da sei. Denn wer Inhalte suche, der brauche keine Bibliothek mehr (http://www.nzz.ch/nzzas/nzz-am-sonntag/bibliotheken-weg-mit-den-buechern-interview-rafael-ball-eth-ld.5093). Das Internet hat die Bibliothek als Träger der Lesekultur abgelöst, so Ball. Die Bibliothek sei ein Hort der Bücher. Einzig im Bereich der Leseförderung gesteht Rafael Ball den Bibliotheken noch eine Aufgabe zu. Bibliotheken müssen sich seiner Ansicht nach zu Informations- und Kommunikationszentren wandeln, die den Zugriff auf elektronische Inhalte ermöglichen. Für wissenschaftliche Bibliotheken sieht er die Aufgabe, Wissenschaftler bei der Publikation wissenschaftlicher Artikel zu beraten. Er sieht die Lösung in einer Digitalisierung aller gedruckten Bücher, da 80% der Bücher in wissenschaftlichen Bibliotheken sowieso nie ausgeliehen werden. So ist es in seinen Augen kein Unglück, wenn ein paar Bücher verloren gehen.

Furioser Einstand?

Dieses Interview stieß in den sozialen Medien der Branche wie «SwissLib» auf ein lebhaftes, ja heftiges Echo. Gerade aus den öffentlichen Bibliotheken kamen engagierte Entgegnungen. Dies ist dem Publizisten Ball recht, möchte er doch der Schweizer Berufsszene einen Denkanstoß liefern. Seine Aussagen sind nicht neu und wurden bereits 2013 in Buchform publiziert (Rafael Ball, Was von Bibliotheken wirklich bleibt – das Ende eines Monopols: ein Lesebuch, ISBN 978-3-934997-50-9 http://baselbern.swissbib.ch/Record/281677638)

Nur ist das nur von Wenigen in der Schweiz bisher zur Kenntnis genommen worden. In Interview in der NZZ-So tritt Ball auch nicht als Publizist, sondern als relativ neu bestallter Direktor der ETH-Bibliothek Zürich auf. Dies ist natürlich ein gefundenes Fressen für die um Auflage ringende Neue Zürcher Zeitung am Sonntag, die sich im heftigen Wettbewerb mit andern Sonntagsblättern in der Schweiz befindet. Solche zugespitzten Aperçus werden gerne ins Blatt genommen. Dankbar hat auch der Schweizer Rundfunk SRF diese Steilvorlage aufgegriffen (http://www.srf.ch/sendungen/kultur-kompakt/macht-das-internet-buecher-ueberfluessig) und leiht Rafael Ball gern ein Mikrofon. Der neue Direktor der ETH-Bibliothek ist nicht unglücklich über die Reaktionen und zeigt sich froh darüber, eine Diskussion seitens eines Fachmanns dazu angestoßen zu haben.

Vieles ist gleich südlich des Rheins, aber einiges ist entscheidend anders.

Was bei dem Interview wohl weniger bedacht wurde, ist die branchenpolitische Lage in der Schweiz. Das Land ringt mit den Folgen der Freigabe des Eurokurses, der die hiesige Wirtschaft mit einem Verlust von 10.000 Arbeitsplätzen in einem Jahr mächtig unter Druck gesetzt hat. Es gibt nun weniger Steuergelder zu verteilen. Im Bundesparlament kommt dieses Jahr die Bildungs- und Wissenschaftsbotschaft ins Parlament. Ein so genanntes „Stabilisierungspaket“ wird gerade ausgearbeitet. Der Bund und 18 Kantone budgetieren 2016 ein Defizit. Angesichts der steigenden Ausgaben werden Fitnessprogramme zur Dauerübung – und Steuererhöhungen wohl unvermeidlich. Für unser Nachbarland ist diese Situation wohl nichts Neues, für die Schweiz aber ein Hinweis darauf, dass die fetten Jahre vorerst vorüber sind. Viele öffentliche Bibliotheken befinden sich in Budgetdiskussionen mit ihren Trägerorganisationen, denn bei der Kultur- und Bildung wird bekanntlich zuerst gespart.

Hinter den branchenpolitischen Kulissen wird seit Ende des vergangen Jahres halblaut über einen Zusammenschluss des Verbands der öffentlichen Bibliotheken (SAB, http://www.sabclp.ch/) mit dem Dachverband der Bibliotheken (BIS, http://www.bis.ch/) nachgedacht. Viele befürworten diesen Zusammenschluss der Verbände. Jedoch lassen sich auch einige Gegenstimmen vernehmen. Sie kommen nicht zuletzt aus der französischsprachigen Westschweiz, die schon immer auf ihre kulturelle Eigenständigkeit bedacht war. Einige, die der deutschen Sprache nicht so mächtig sind, können dank Google Translator den Inhalt des Interviews erahnen und entsprechend pointiert Stellung nehmen. Das ist unglücklich, da hier Mythen Vorschub geleistet werden könnte. In der Zwischenzeit hat die NZZ ihr Einverständnis gegeben eine nicht autorisierte Übersetzung des Interviews in französische Sprache auf „SwissLib“ zu veröffentlichen.

Ein anderes Forum bietet sich an

Der diesjährige BIS-Kongress in Luzern (http://www.bis.ch/nc/de/news-details/article/bis-generalversammlung-und-berliner-philharmoniker.html) böte reichlich Gelegenheit, Aussagen im Interview mit den beteiligten Branchenfachleuten zu diskutieren. Die in Teilen larmoyanten Stellungnahmen bestätigen jedoch, dass die Aussagen im Interview im Kern zutreffen. Für das Interview wurde wohl nicht bedacht, dass Rafael Balls Stellungnahme in seiner Eigenschaft als Direktor der ETH-Bibliothek und damit als Vertreter einer Bundesbehörde und nicht als Publizist erfolgte. Dies dürfte zusätzlich für einige heftige Entgegnungen auf SwissLib gesorgt haben, da Balls Stellungnahme ein altes Vorurteil befeuert: Öffentliche Bibliotheken würden von ihren Kollegen aus den wissenschaftlichen Bibliotheken nicht sonderlich ernst genommen und daher sei ein Zusammenschluss der Verbände nicht opportun.

Rafael Ball (2)

Rafaell Ball

Blick aus Deutschland

Die Überlebenskrise der Bibliotheken
verlangt konkretere Antworten

Von Willi Bredemeier

Soweit so gut. Aber was bedeutet die Bibliothek als Informations- und Kommunikationszentrum konkret?

Die Reaktionen in Deutschland sind kaum weniger heftiger als die in der Schweiz ausgefallen. Das hat zum einen damit zu tun, dass die Schweizer auch in den Sozialen Medien und Chatlisten hierzulande aktiv sind und ihre deutschen Kollegen beeinflussen. Eine der heftigeren Reaktionen kam denn auch von Christian Gutknecht in InetBib:

Guten Tag,

Hier ein weiterer total unqualifizierter Kommentar von Ball: http://www.researchinformation.info/news/news_story.php?news_id=2077Es ist einfach nur peinlich realitätsfremd und dem Amt als ETH-Bibliotheksdirektor unwürdig, die heutige Situation als „established, reliable and sustainable“ zu bezeichnen und sich gleichzeitig als „begnadeter Vordenker“ (https://dl.dropboxusercontent.com/u/13689512/begnadeter%20Vordenker.pdf) zu ernennen. Liebe Regensburger, kann man euch irgendwie ein Angebot machen, dass ihr den Ball wieder zurücknehmt? Ich bin gerne bereit eine Crowdfunding-Kampagne zu starten. 

freundliche Grüsse Christian Gutknecht 

Zum anderen befinden sich die deutschen Bibliotheken im Überlebenskampf und geht insbesondere die Zahl der kleinen Bibliotheken von Jahr zu Jahr dramatisch zurück. Da muss vielen das Statement ihres Ex-Regensburger-Kollegen als total unsolidarisch und als Dienstleistung für die Politiker, die Bibliotheksetats kürzen, vorkommen. Umgekehrt könnte Ball antworten, dass eine vorwiegend defensive Diskussion den Bibliothekaren wenig gebracht hat.

Auch wenn Ball recht hat, offensichtlich besteht ein innerbibliothekarischer Diskussions- und mit Blick auf die breite Öffentlichkeit weitgehender Vermittlungsbedarf. (Information Professionals können allerdings von dem Image der Bibliotheken, das als Hort der Kultur tief im Bewusstsein der Bürger eingeprägt ist, nur träumen.) Was tun? ·

– „Informations- und Kommunikationszentrum“ ist ein viel zu allgemeiner Begriff, als sich daraus geeignete Konsequenzen ableiten ließen. Wie brauchen einen geeigneteren Bezugsrahmen, um viel versprechende Wege aufzuzeigen, wie Bibliotheken überleben können. ·

– Es gibt ja die bibliothekarischen Leuchttürme, die täglich ihre Success Stories schreiben. Diese müssen wir unter den Bibliothekaren und vor allem in der breiten Öffentlichkeit verbreiten, statt den Bedürfnissen der Medien nach einer weitgehenden Entdifferenzierung entgegenzukommen. ·

– Teil eines geeigneten Bezugsrahmens für die Überlebensdiskussion könnte auch die folgende These sein: Es gibt nicht die eine Lösung für die Bibliothekskrise. Bibliotheken müssen so heterogen werden, wie es ihre Kundengruppen sind. Soweit in diesen Communities eine zumindest potenzielle Nachfrage nach personalisierten Dienstleistungen besteht und Bibliotheken diese liefern können, müssen sie um ihre Zukunft nicht fürchten.

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