Open Password: Freitag, den 25. November 2016
Pushdienst 2016#132
C.H. BECK – Hans Dieter Beck – Maximilian Schenk – Open Access – Jasmin Schmitz -DFG – Wolfgang Schön – INTACT – OA2020-Inititive -SciHub – Ralf Schimmer – Waltraud Paul – Lingua – Elsevier – Knowledge Unlatched – Geisteswissenschaften
Pushdienst #131
C.H. BECK
Schenk übernimmt
Online-Marktführer für Rechtsinformationen
Dr. Hans Dieter Beck, Verlagsleiter des deutschen Online-Marktführers für Online-Rechtsinformationen (neben juris), hat sich mit 84 Jahren entschlossen, sein Haus zu bestellen. Damit folgt er seinem jüngeren Bruder Wolfgang, der für die geistes- und kulturwissenschaftlichen sowie belletristischen Publikationen im Hause Beck verantwortlich war und der sich vor einem Jahr entschied, seinen Sohn Jonathan zum Verlagsleiter zu machen. Der Beck-Verlag befindet sich in der siebenten Generation im Familienbesitz.
Hans Dieter Beck übernahm 1973 den Programmbereich Recht und Steuern, führte ihn durch die Online-Revolution und baute ihn zur Cash Cow des Beck-Verlages aus. Anders als sein Bruder hat er sich für einen externen Manager als Nachfolger erschienen. Dr. Maximilian Schenk (42) wird im Laufe des 1. Quartals 2017 Verlagsleiter und Prokurist.
Schenk war Rechtsanwalt für IT- und Medienrecht in der Sozietät von Boetticher. Danach gehörte er zum Führungsteam der sozialen Netzwerke studiVZ, schülerVZ und meinVZ und war dort Director Operations sowie Leiter der Rechtsabteilung. In den letzten fünf Jahren verantwortete er als Geschäftsführer den Verband der Entwickler und Publisher von Computer- und Videospielen in Deutschland (BIU) und die Messe gamescom.
Hans Dieter Beck meint: „Mit den Erfahrungen von Herrn Dr. Schenk können wir mit Blick auf den Medienwandel optimistisch die Herausforderungen der Zukunft angehen.“.
Open Access
OA ist unumgänglich geworden,
wenngleich Herausforderungen und Vorbehalte geblieben sind
Wie eine führende Elsevier-Zeitschrift
durch eine verlagsunabhängige Publikation
faktisch ersetzt wurde
Die sich entfaltende OA-Infrastruktur
Von Jasmin Schmitz, schmitz-jasmin@web.de
Die diesjährigen Open-Access-Tage in München statt erzielten mit mehr als 350 angemeldeten Teilnehmern einen Rekord. Die Konferenz, die ursprünglich als Konstanzer Open-Access-Tage mit lokalem Bezug begann, jährte sich zum zehnten Mal.
Die hohe Teilnehmerzahl zeigt an, wie unumgänglich das Thema „Open Access“ geworden ist. Nach wie vor bestehen allerdings Herausforderungen in den Bereichen Weiterentwicklung, flächendeckende Verbreitung in allen Disziplinen sowie Finanzierung.
Förderung der Open-Access-Infrastruktur. Aus Sicht der DFG (Vortrag von Wolfgang Schön, Mitglied des DFG-Präsidiums) ist eine fachliche und strukturelle Weiterentwicklung von Open Access zwingend notwendig. Ein Drängen der Mittelgeber, open access zu publizieren, reicht allein nicht aus, es müssen konkrete Infrastrukturen dafür vorhanden sein. Die DFG fördert in ihrem Programm „Elektronisches Publizieren“ daher Repositorien, Zeitschriften und ähnliche Projekte. Die geförderten Formate variieren und tragen den Unterschieden der fachlichen Communities mit Blick auf die wissenschaftliche Qualitätssicherung Rechnung. Zudem wird mit einigen Projekten Community-Building betrieben. Mit dem Programm „Open-Access-Publizieren“ und den damit geförderten Publikationsfonds zur Finanzierung von Open-Access-Publikationsgebühren an Hochschulen wurde ein infrastrukturelles Angebot unterbreitet. Vierzig Hochschulen haben bislang davon Gebrauch gemacht. Dabei haben sich De-Facto-Standards entwickelt wie das Benennen von Open-Access-Beauftragten und die Vereinfachung der Geschäftsgänge für Autoren.
Die DFG möchte auch künftig eine Ermöglichungsstruktur fördern und dabei Offsetting- und Transformationsbemühungen berücksichtigen, mit denen die Subskriptionsgebühren in Mittel für die Finanzierung von Publikationsgebühren umgewidmet werden. Eine Transformation ist aber nur möglich, wenn das Publikationsaufkommen sowie die Kosten für die Finanzierung eines Publikationssystems bekannt sind. Zudem müssen für forschungsintensive Einrichtungen Ausgleiche geschaffen werden. Etablierung von Workflows und Standards bei der Rechnungslegung sind weitere wichtige Aufgaben. Hierum kümmert sich das von der DFG geförderte Projekt INTACT (http://www.intact-project.org/).
Ferner sind die National- und Allianzlizenzen auszubauen. Alle Akteure im Wissenschaftssystem werden aufgefordert, ihren Beitrag zu leisten. Einerseits muss es eine Zusammenarbeit von wissenschaftlichen Communities und Verlagen geben. Andererseits kommt man nicht umhin, dass Thema Open Access international zu denken.
Die Initiative OA2020. Ralf Schimmer von der Max Planck Digital Library berichtet über die Hintergründe der OA2020-Initiative (http://oa2020.org/). Trotz vieler Resolutionen, Mandate und Policies ist festzustellen, dass die Forderungen der Berliner Erklärung nach einem freien Zugang zur wissenschaftlichen Literatur, der weit mehr als Leserechte umfasst, noch nicht vollständig umgesetzt worden sind. Lediglich 14% des Publikationsaufkommens werden auf dem Goldenen Weg des Open Access veröffentlicht, sie machen damit gerade mal 4% der Erlöse der Verlage aus. Das Subskriptionswesen hingegen wächst weiter. Faktisch hat eine Parallelisierung stattgefunden. Auch die Bemühungen, Wissenschaftler möglichst flächendeckend für Open Access zu begeistern, haben nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt. Erfolgsversprechender scheint zu sein, die Grundlagen des Publikationssystems durch die Änderung von Geschäftsmodellen bei den Zeitschriften zu ändern und Open Access als natürliche Publikationsbedingung zu etablieren, um einen tatsächlichen Durchbruch zu erzielen.
7,6 Milliarden Euro werden jährlich von den Bibliotheken für Subskriptionsgebühren ausgegeben, bei einer Veröffentlichung von zwei Millionen Publikationen pro Jahr werden im Schnitt für jeden Artikel 3.800 Euro bezahlt. Bei einer Annahme von Open-Access-Publikationsgebühren in Höhe von 2.000 Euro pro Publikation wäre somit eine Kostenverringerung möglich. Bestehende Subskriptionsetats sollten daher zur Finanzierung von Open-Access-Gebühren genutzt werden. Ziel ist, 90% der Publikationen in Open Access zu veröffentlichen.
Die Dringlichkeit einer Transformation zeigt sich auch an Beispielen wir SciHub. Hohe Zugriffszahlen aus den USA und Europa, weniger aus der Dritten Welt, verdeutlichen die Unzufriedenheit der Wissenschaft mit den bestehenden Praktiken im Publikationswesen und stellen zugleich eine Lektion für Bibliotheken dar. Das derzeitig praktizierte System ist vom Verfall gezeichnet, dysfunktional und immer weniger gewollt, so dass akuter Handlungsbedarf besteht. Die Initiative OA2020 ist daher auch nicht als Konfrontation zu den Verlagen zu verstehen, vielmehr als Angebot für einen geordneten Übergang zu einer der heutigen Wissenschaft angemessenen Praxis.
Von Lingua zu Glossa. Waltraud Paul berichtet Details über den Rücktritt der Herausgeber der Elsevier-Zeitschrift Lingua, einem Flaggschiff der Linguistik, und der anschließenden Neugründung der Open-Access-Zeitschrift Glossa im Herbst 2015. Nachdem steigende Publikationsgebühren den Streit mit dem Verlag eskalieren ließen, gingen alle Herausgeber und Mitherausgeber zu Glossa über. Glossa veröffentlichte bislang dreißig Artikel sowie eine thematische Sondernummer. Zwanzig weitere Publikationen stehen kurz vor der Veröffentlichung. Bislang wurden 250 Artikel eingereicht. Bei der Zeitschrift Lingua blieben hochwertige Einreichungen hingegen aus und eine Begutachtung von Artikeln wird häufig abgelehnt. Das neue Herausgebergremium für Lingua ist als weniger repräsentativ für die Linguistik anzusehen. Bei den in 2016 erschienen Publikationen handelt es sich wohl ausschließlich um solche, die sich in der „Reserve“ befanden.
„Knowledge Unlatched“ als Brückenmodell. „Knowlege Unlatched“ hat sich vorgenommen, geeignete Erwerbs- und Finanzierungsstrukturen für das Open-Access-Stellen von geistes- und sozialwissenschaftlichen Monographien zu schaffen. Obgleich Monographien in einigen wissenschaftlichen Disziplinen einen hohen Stellenwert haben, gelten sie im Open-Access-Bereich noch als Exoten. Die Finanzierung erfolgt paritätisch und wird zwischen Verlag und Bibliotheken geteilt. So funktioniert das Modell: Verlage erstellen eine Vorschlagsliste mit Monographien, über deren Freischaltung verhandelt werden soll. Die eigentliche Auswahl erfolgt durch die teilnehmenden und mittelgebenden Bibliotheken, um sicherzustellen, dass nur solche Publikationen „unlatched“ werden, die für die Kunden der Bibliotheken relevant sind. Zuletzt lag der Fokus verstärkt auf Themenpakete. Die Ablehnungsrate der Bibliotheken beträgt etwa 50%. Bislang wurden hundert Bücher freigeschaltet. Etwas mehr als 300 Bibliotheken beteiligen sich an dem Modell, viele von ihnen aus den USA. Da weitere Bibliotheken zum Mitmachen animiert werden sollen, es sich aber gleichzeitig um ein erklärungsbedürftiges Modell handelt, wird mit Schweitzer zusammengearbeitet.
Gegenwärtig wird versucht, das Portfolio zu erweitern. So werden neuerdings auch Backlist-Titel berücksichtigt. Eine Erweiterung des Angebots um Zeitschriften wird vorbereitet. Dazu wurden dreißig Zeitschriften ausgewählt, die seit mindestens zehn Jahren bestehen. Ziel ist hierbei, dass Bibliotheken mit „Knowledge Unlatched“ deutlich weniger bezahlen als im Subskriptionsmodell.
Open Access und die Geisteswissenschaften. Eine der zahlreichen angebotenen Sessions beschäftigte sich mit der wissenschaftlichen Reputation von Open Access in den Geisteswissenschaften. In einigen Disziplinen werden noch starke Vorbehalte gegenüber Open Access gehegt. Entsprechende Publikationen werden grundsätzlich als minderwertig betrachten, weil das Verständnis fehlt, dass auch bei Open-Access-Publikationen die wissenschaftliche Qualität über Peer Reviews gesichert wird. Zudem fehlt es vielfach an einer geeigneten Infrastruktur.
Dabei ist Open Access auch hier stark zu begrüßen, weil es die Literaturbeschaffung und das Überprüfen von Zitaten erleichtert und somit Irrtümer schneller erkannt werden können. Die Vorbehalte sind auch deshalb ungerechtfertigt, weil die Begutachtung lediglich ein Akt der Feststellung der Wissenschaftlichkeit ist. Preprints und andere Beiträge im Open Access ohne Peer Review können durchaus wissenschaftlich sein. Allerdings sollte deutlich werden, in welchem Stadium sich eine Publikation befindet. Weitere Vorteile von Open Access sind neue vielversprechende Kommunikationsformen unter Wissenschaftlern, eine leichtere Verbreitung der Forschungsergebnisse sowie eine verbesserte Nachnutzung durch Nicht-Wissenschaftler. Zudem lässt sich leichter nachvollziehen, wer von wem zitiert wird.
Hingegen ist an dem bisherigen Beurteilungssystem zu kritisieren, dass Zitationsindices und -kennzahlen sowie das Prestige einzelner Wissenschaftsverlage ein zu starkes Gewicht erhalten haben und die Wissenschaft zunehmend managementgesteuert ist. Eine Bewertung der inhaltlichen Qualität wissenschaftlicher Beiträge erfolgt über Kennzahlen, nicht über die Auseinandersetzung mit den Inhalten von Publikationen und Anträgen.
Podiumsdiskussion. Das Panel zum Thema „Ein funktionaler OA-Markt. Welche Infrastrukturen und Services brauchen wir?“ beschäftigte sich damit, wie eine Vielzahl geförderter Infrastrukturprojekte in einen dauerhaften Betrieb überführt werden kann. Bei Projekten wie Directory of Open Access Journals und Sherpa/Romeo, die beide zu den meistgenutzten Open-Access-Diensten gehören, ist die Überführung geglückt. Vorgeschlagen wird eine supranationale koordinierende Instanz, die eine Bestandsaufnahme der Initiativen erarbeitet, deren Bedeutung und Nachhaltigkeit bewertet, eine Finanzierung für den dauerhaften Betrieb organisiert sowie Lücken im Diensteportfolio aufzeigt und somit Empfehlungen für weitere Förderungen ausspricht.
Die Abstracts, Vortragsfolien und Aufzeichnungen von ausgewählten Vorträgen sind abrufbar unter http://open-access.net/community/open-access-tage/open-access-tage-2016-muenchen/.
Die Open-Access-Tage 2017 finden vom 11. – 13. September 2017 in Dresden statt.
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