Open Password – Montag, den 30. Mai 2022
# 1078
Bürgerwissenschaft
Weißbuch „Citizen-Science-Strategie 2030 für Deutschland“ – ein partizipativer Prozess
Die besondere Bedeutung von Archiven,
Bibliotheken und Museen
Von Martin Munke
Bürgerwissenschaft – Citizen-Science-Strategie 2020 für Deutschland – Partizipative Prozesse – Archive – Bibliotheken – Museen – Martin Munke – Helmholtz-Gemeinschaft – Fraunhofer-Gesellschaft – Praktiker – Zivilgesellschaft – Wissenschaft – Bildungssysteme – Politische Entscheidungsträger – Förderer – Citizen-Science-Strategie 2020 für Deutschland – Thekla Kluttig – Sächsisches Staatsarchiv – Sächsische Landesbibliothek – Anke Valentin – Wissenschaftsladen Bonn – Silke Voigt-Heucke – Museum für Naturkunde Berlin – Open Password – Online-Dialogforen – Offene Onlinekonsultation – Transfereinrichtungen – Befähigung zum eigenständigen Forschen – Rollenverständnis – Sächsisches Landeskuratorium ländlicher Raum – Kooperationen und Netzwerken – Ehrenamtliche Forschungscommunities – Qualifizierung – Digitalisierung – LIBER Citizen Science Working Group – Citizen Science Guide – Schnittstelle von Wissenschaft und Öffentlichkeit – Konzept einer offenen Wissenschaft
Digitale Identitäten – Corona – eco – Digitaler Impfnachweis – Civey – Gesundheitsbereich – Verwaltungsdienstleistungen – Zahlungsmöglichkeiten – Norbert Pohlmann – Europäisches Öko-System – Self-Sovereign Identity – Nutzervertrauen – Blockchain
I.
Titel
Bürgerwissenschaft
Weißbuch „Citizen-Science-Strategie 2030 für Deutschland“, ein partizipativer Prozess . Die besondere Bedeutung von Archiven, Bibliotheken und Museen – Von Martin Munke
II.
Digitale Identitäten
Mit Corona kam der Durchbruch
III.
Briefe
Deutsche Welle sucht Dokumentar
Martin Munke
„Archive, Bibliotheken, Museen und Wissenschaftsläden haben eine lange Tradition als Bindeglieder zwischen Forschung und Zivilgesellschaft und bieten daher langfristige physische und konzeptionelle Räume für Citizen Science mit großer Nähe zu Bürgerinnen und Bürgern. Als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft schaffen sie damit innovative Räume und Möglichkeiten des gemeinsamen Experimentierens und Lernens“[1].
Diese beiden Sätze fassen die zentralen Inhalte des Handlungsfeldes zu Kultur- und Gedächtniseinrichtungen wie Archiven, Bibliotheken und Museen im Weißbuch „Citizen-Science-Strategie 2030 für Deutschland“ zusammen, das am 29. April 2022 in Berlin öffentlich vorgestellt wurde.
Entstanden ist das Weißbuch unter Beteiligung von mehr als 200 Mitwirkenden in einem Konsortium von Helmholtz-Gemeinschaft, Leibniz-Gemeinschaft und Fraunhofer-Gesellschaft gemeinsam mit universitären und außeruniversitären Partnern. Die Teilnehmer diskutieren auf 150 Seiten Entwicklungen, Potenziale und Herausforderungen der Bürgerwisssenschaft für die kommenden Jahre und geben Handlungsempfehlungen für Praktiker, Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Bildungssysteme, politische Entscheidungsträger und Förderer. Sie wenden sich damit an ein breites Spektrum an Akteuren, die alle für Bürgerforschungsprozesse relevant sind.
Das Weißbuch baut auf dem 2016 veröffentlichten Grünbuch „Citizen-Science-Strategie 2020 für Deutschland“[2] auf. Archive, Bibliotheken und Museen waren darin noch nicht als eigenständiges Handlungsfeld vertreten. Eine erste Version der Handlungsempfehlungen an Archive, Bibliotheken und Museen wurde von Thekla Kluttig (Sächsisches Staatsarchiv – Staatsarchiv Leipzig), Martin Munke (Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden), Anke Valentin (Wissenschaftsladen Bonn) und Silke Voigt-Heucke (Museum für Naturkunde Berlin) erarbeitet und im September 2021 in Open Password veröffentlicht. Darin wurde auch erklärt, warum sich gerade Beschäftigte dieser Einrichtungen zur Förderung von Citizen Science zusammengetan haben. Zuvor waren die möglichen Schwerpunkte dieses 13. von 15 Kapiteln des Weißbuchs auf zwei Online-Dialogforen diskutiert worden. Von August bis Oktober 2021 fand eine offene Onlinekonsultation statt, in der der Stand der Arbeiten vorgestellt wurde. Über zwei Monate gaben Interessierte dazu 120 Kommentare und 1.300 weitere Beiträge wie formale und sprachliche Hinweise ab. Diese wurden anschließend gesichtet und – wo möglich – ins Weißbuch eingearbeitet.
Auch für das Kapitel „Archive, Bibliotheken, Museen und Wissenschaftsläden“ gab es zahlreiche Hinweise, Nachfragen und Änderungsvorschläge. Ein Schwerpunkt lag auf den Begrifflichkeiten. Im Kapitel 13 hatten wir den Begriff der „Transfereinrichtungen“ eingeführt, um eine besondere Aufgabe der Kultur- und Gedächtniseinrichtungen deutlich zu machen – ihre Vermittlungsfunktion, die die Geschichte, Kontexte und Inhalte ihrer Bestände und Sammlungen aufbereitet und in die Gesellschaft kommuniziert. Nach einigen Nachfragen dazu wurden stärker auch die multidirektionalen Funktionsweisen dieser Rolle im Sinne von Citizen Science betont. Sie geht über eine reine Dienstleistungsfunktion hinaus und strebt die Befähigung von Bürgerinnen und Bürgern zum eigenständigen Forschen an.
Damit entsteht ein neues Rollenverständnis der Gedächtniseinrichtungen, das die gemeinsame Wissensarbeit als beiderseitige Transferleistung – hier Archive, Bibliotheken, Museen und Wissenschaftsläden, dort die Bürger aus den verschiedensten Gruppen – in den Blick nimmt. Sie baut auf den traditionellen Aufgaben der Sammlung, Bewahrung und Vermittlung auf und interpretiert diese neu bzw. aktualisiert sie. Auch wurden in Kapitel 13 weitere Akteure benannt, die bereits als Transfereinrichtungen Wissen vermitteln und Menschen zusammenbringen, zum Beispiel Einrichtungen der Erwachsenenbildung wie Volkshochschulen, aber auch freie Träger mit spezifischer Ausrichtung wie z. B. das Sächsische Landeskuratorium ländlicher Raum. Damit wird auch die große Bedeutung von Kooperationen und Netzwerken deutlich: Die Unterstützung und Beförderung von Citizen Science auf einer strategischen Ebene funktioniert gleichfalls nur als partizipativer Prozess.
Die Diskussion der Handlungsempfehlungen des Kapitels im Rahmen eines Thementischs zur öffentlichen Präsentation in Berlin am 29. April bestätigte diese Thesen. Physische ebenso wie digitale Räume für Begegnungen zu schaffen, um Institutionen, Vereine und individuelle Bürger zum Austausch und zum gegenseitigen Lernen anzuregen – dies wurde vorrangig als Aufgabe der Archive, Bibliotheken, Museen und Wissenschaftsläden benannt (Handlungsempfehlung 13.2: Zusammenarbeit mit Communities). Mithin können unsere Einrichtungen als Bindeglied zwischen der Wissenschaft und ehrenamtlichen Forschungscommunities (z. B. historischen, genealogischen und naturkundlichen Vereinen oder Wikimedia-Gemeinschaften) agieren und die Zusammenarbeit über eine Bereitstellung geeigneter Werkzeuge und Infrastrukturen stärken [3].
Auch in der Umfrage zu den Handlungsempfehlungen im Rahmen der Onlinekonsultation erhielt dieser Punkt mit 33 Prozent die meisten Stimmen. Um ihn erfolgreich umzusetzen, müssen die Einrichtungen bereit sein, diese Aufgabe aktiv anzunehmen und dafür ausreichende Ressourcen wie Personal- und Sachmitteln zur Verfügung stellen (HE 13.1: Aktiv werden) – mit 26 Prozent der Stimmen der zweitwichtigste Punkt in der Onlineabstimmung. Gleichermaßen gilt es, das Personal in Archiven, Bibliotheken und Museen auf diese Rolle vorzubereiten (Handlungsempfehlung 13.5: Mitarbeiter:innen von ABMWs nehmen Fortbildungen im Bereich Citizen Science wahr – Handlungsempfehlung 13.6: Citizen Science ist Teil der archivarischen, bibliothekarischen und museologischen Ausbildung). Ein wertvolles Hilfsmittel kann die Digitalisierung sein: Zur Umsetzung von Projekten und zur Kommunikation innerhalb und über die Projekte können unsere Einrichtungen Technik und Werkzeuge zur Verfügung stellen und für den Umgang mit ihnen qualifizieren. Dabei könnte ein besonderer Schwerpunkt auf offene Infrastrukturen wie den Portalen des Wikiversums liegen (Handlungsempfehlung 13.4: Digitalisierung).
Nun, da das Weißbuch vorliegt, geht es an die Umsetzung. Bereits in Arbeit ist ein Handbuch, das für die einzelnen Handlungsfelder des Weißbuchs ausführlicher die aktuellen Entwicklungen darstellt und Umsetzungstipps für eigene Vorhaben geben soll. Dabei zeigt sich, dass Citizen Science in den letzten Jahren an den Bibliotheken im deutschsprachigen Raum bereits an Bedeutung gewonnen hat. Aktuell gehen auf europäischer Ebene auch Impulse von der 2019 gegründeten LIBER Citizen Science Working Group aus. Sie veröffentlicht gerade ihren mehrteiligen Citizen Science Guide, dessen erste Sektion zu „Citizen Science Skilling for Library Staff, Researchers, and the Public“ sich auf die Handlungsempfehlungen 13.5 und 13.6 des Weißbuchs beziehen lässt.
Zusammengenommen bieten beide Publikationen Ansätze, das Leitbild des Weißbuches „Citizen-Science-Strategie 2030 für Deutschland“ Wirklichkeit werden zu lassen:
„Im Jahr 2030 verstehen sich Archive, Bibliotheken, Museen und Wissenschaftsläden sowie andere Institutionen an der Schnittstelle von Wissenschaft und Öffentlichkeit als Wissensräume und Bildungsstätten mit institutioneller Vermittlungsaufgabe und in diesem Sinne als Gedächtnis- und Transferorganisationen. Citizen Science ist als Forschungs- und Transferansatz ein fester Bestandteil in den Leitbildern und im Selbstverständnis von Institutionen an der Schnittstelle von Wissenschaft und Öffentlichkeit zur aktiven Zusammenarbeit mit Bürger:innen. Als etablierte Anlaufstellen für Fachgesellschaften und bürgerliches Engagement verbinden sie Wissenschaft und Gesellschaft“[4].
Das Weißbuch kann Bibliothekaren über die zahlreichen vorgestellten Projektbeispiele Inspiration für eigene Aktivitäten bieten. Zudem kann es eine Argumentationshilfe in der eigenen Einrichtung sein, um Unterstützung für Citizen.Science-Projekte einzuwerben und perspektivisch eine strategische Verankerung des Themas zu erreichen. Bibliotheken würden so dazu beitragen, über Citizen Science das Konzept einer offenen Wissenschaft zu befördern.
[1] Aletta Bonn u. a.: Weißbuch Citizen Science Strategie 2030 für Deutschland, Berlin/Leipzig 2021, DOI: 10.31235/osf.io/ew4uk, S. 8. Vgl. auch meinen Beitrag „Eine Strategie für die Bürgerwissenschaften in Deutschland“. In: SLUBlog, 28. April 2022, URL: https://blog.slub-dresden.de/beitrag/2022/4/28/eine-strategie-fuer-die-buergerwissenschaften-in-deutschland.
[2] Aletta Bonn u. a.: Grünbuch Citizen Science-Strategie 2020 für Deutschland, Berlin 2016, URN: urn:nbn:de:101:1-20160621985.
[3] Für alle Handlungsempfehlungen vgl. Bonn u. a.: Weißbuch, S. 117.
[4] Ebd., S. 8.
Digitale Identitäten
Mit Corona kam der Durchbruch
(eco) Der digitale Impfnachweis im Handy brachte in der Corona-Pandemie den Durchbruch digitaler Identitäten. Digitale Nachweise könnten bald weitere physische Dokumente ablösen und Prozessen in Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft enorm vereinfachen, glauben viele. In einer aktuellen repräsentativen Civey-Umfrage im Auftrag des eco Verbands sagen 48,4 Prozent der Bürger, digitale Identitäten seien eine wichtige Grundvoraussetzung für die weitere Digitalisierung. 34,7 Prozent verneinen diese Aussage, 16,9 Prozent sind unentschieden.
Besonders interessante Anwendungsbereiche sind Nachweise im Gesundheitsbereich (38,3 Prozent), öffentliche Verwaltungsdienstleistungen (36,8 Prozent) und Berechtigungsnachweise, etwa für Parkausweise (27,5 Prozent). Interessant sind für die Menschen auch Führerscheine und Personalausweise auf dem Smartphone (30,6 und 30,3 Prozent) sowie Zahlungsmöglichkeiten beim Online-Shopping (20,2 Prozent). Eine zentrale digitale Identität für viele Anwendungen würden die Menschen laut Civey-Umfrage im Vergleich zu mehreren zweckbezogenen Identitäten bevorzugen (34,5 gegenüber 28,3 Prozent).
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Sicheres digitales Identitäten-Ökosystem schafft Vertrauen.
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„Die Vorteile digitaler Identitäten für Unternehmen, Behörden und Bürger sind sehr vielfältig, eine gut funktionierende Infrastruktur für digitale Identitäten wird den Grad an Digitalisierung in vielen Prozessen erhöhen, die Privatsphäre deutlich besser schützen, eine bedeutende wirtschaftliche Relevanz haben und vor allen eine hohe Akzeptanz für die digitale Zukunft schaffen“, sagt der eco Vorstand IT-Sicherheit Prof. Norbert Pohlmann. „Damit digitale Identitäten ihren positiven Einfluss auf die Digitalisierung entfalten können, brauchen wir ein europäisches Ökosystem zur Ausgabe und Verifizierung digitaler Identitäten und Nachweise auf der Basis von Self-Sovereign Identity (SSI).“ In einem solchen System können alle souverän über ihre Identitätsdaten und verifizierbaren digitalen Nachweise verfügen. Das heißt, die Menschen entscheiden unabhängig und souverän, wann sie welcher Anwendung die notwendigen Identitätsdaten zur Verfügung stellen.
Die größte Herausforderung auf dem Weg zu mehr digitalen Identitäten ist das Vertrauen der Nutzer in die Sicherheit ihrer persönlichen Daten. Lediglich 22,9 Prozent der Befragten halten aktuell die Speicherung und Verwaltung ihrer Identifikationsdaten beispielsweise auf dem Smartphone für sicher und unbedenklich. Die Mehrheit ist deutlich skeptischer und sagt, digital gespeicherte Identitätsdaten sind auf dem Handy weniger (31,2 Prozent) oder gar nicht sicher (35,7 Prozent). Privatwirtschaftlichen Unternehmen wird hier mehr Kompetenz zugesprochen als dem Staat. Private Unternehmen erstellen und verwalten elektronische Ausweissysteme effektiver als staatliche Einrichtunen, sagen 41,7 Prozent. Rund 38 Prozent sehen das nicht so, 20 Prozent sind unentschieden.
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Blockchain-Technologie kann digitale Identitäten ermöglichen.
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Zur Realisierung digitaler Identitäten bietet die Blockchain-Technologie einen idealen und passenden Vertrauensdienst, ao Pohlmann. „Eine Blockchain-basierte Lösung bietet als dezentrales Netzwerk IT-Sicherheits- und Vertrauenswürdigkeitsmechanismen. Die Akteure sind in der Lage, sowohl Echtheit und Ursprung als auch die Unversehrtheit der digitalen Identitätsdaten und Nachweise zu überprüfen, ohne dass die Blockchain die eigentliche Identität oder die digitalen Nachweise der Nutzer kennt.“ Informationen zur Verifizierung der digitalen Nachweise ließen sich in einem Blockchain-basierten Ökosystem ideal verwalten.
Briefe
Deutsche Welle sucht Dokumentar
Sehr geehrte Damen und Herren,
gerne möchte ich auf folgende Ausschreibung hinweisen: wir suchen ab 15.08.2022 eine*n Information Specialist / Wissenschaftliche*n Dokumentar*in als Elternzeitvertretung in Bonn oder Berlin: https://recruitingapp-5401.de.umantis.com/Vacancies/1438/Description/1
Bitte leiten Sie die Ausschreibung an Interessierte weiter.
Herzlichen Dank und beste Grüße
Dr. Cordia Baumann
Head of Information and Archives
Design, Visual and Archives
DW (Deutsche Welle) | Kurt-Schumacher-Str. 3 | 53113 Bonn | Germany
T +49.228.429.4301 | T +49.30.4646.6100 | F +49.228.429.4300 | M +49.1732601553 | cordia.baumann@dw.com
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