Open Password – Montag, den 30. November 2020
#858
Buchbesprechung – Digitalisierung – Diskussion – Informationswissenschaft – Krise – Rezension – Schufa – Iris Bents – NDR – WDR – Süddeutsche Zeitung – Telefonica/O2 – Zweite EU-Zahlungsdienstelinie – BaFin – Finapi – Datenschutz – Schufa CheckNow – Bayerisches Landesamt für Datenaufsicht – Michael Will
Zukunft der Informationswissenschaft
Wege aus einer wohl selbstverschuldeten
langanhaltenden Krise
der Informationswissenschaft
Willi Bredemeier: Zukunft der Informationswissenschaft. Hat die
Informationswissenschaft eine Zukunft? Berlin: Simon Verlag für Bibliothekswissen, 2019. 443 S. ISBN 978-3-945610-46-6. € 20.00.
Herausgeber Willi Bredemeier
Der Sammelband enthält sowohl bereits früher in Open Password veröffentlichte als auch eigens für diesen Band verfasste Beiträge über den Stand und die Entwicklungstendenzen in der deutschsprachigen Informationswissenschaft; 34 Texte insgesamt, thematisch in sechs Teile eingeordnet. Das sind: die Ausgangspunkte einer informationswissenschaftlichen Debatte in/aus Open Password, grundsätzliche Kritiken an der Informationswissenschaft, die Suche nach einem Bezugsrahmen, die Wissenschaftlichen Bibliotheken, Gesamtbilder und Beispiele aus der informationswissenschaftlichen Lehre sowie Beispiele an der Forschungsfront der Informationswissenschaft (z. B. Online Marketing, Fake News, Digitalisierung).
Dies ist eine wohlgeordnete, sehr umfangreiche Aufgabenstellung, immer auf der Suche nach Wegen aus einer wohl selbstverschuldeten lang andauernden Krise der deutschsprachigen Informationswissenschaft. Es ist eine Momentaufnahme, über die sich zu diskutieren lohnt, und die viele Ansätze für eine arrivierte Informationswissenschaft enthält. In diesem Sinne ist dieses Buch sehr zu begrüßen, es ist zu hoffen, dass die vielen, nicht immer sofort sichtbaren Empfehlungen umfassend diskutiert werden.
Besonders ausgereift erscheinen dem Rezensenten die beiden Beiträge über die
Neujustierung des Bibliothekswesens und die Rolle der wissenschaftlichen Bibliotheken im Transformationsprozess.
Auf überspitzte Ausdrucksformen wie „Die Dummen verweisen aufs INTERNET“ (Seite 113) von Karl Venker sollte aber verzichtet werden, sie könnten die Atmosphäre vergiften. Ein Reader, wie auf dem hinteren Buchdeckel angekündigt, ist es nicht. Es ist aber eine wichtige Grundlage, um die Frage „Befindet sich die Informationswissenschaft in der Krise?“ zu beantworten. Die von Willi Bredemeier durch dieses Buch und eine Artikelserie in Open Password angestoßene Diskussion fand erfreulicherweise im September 2019 ihre Fortsetzung in einem Diskurs, zu dem der Berliner Arbeitskreis Information einlud; eine ausführliche Berichterstattung findet sich in Bibliotheksdienst (54 (2019) Heft 1).
Diese Rezension erschien zunächst in „Library Essentials“. Wir übernehmen sie mit freundlicher Genehmigung des Verlages.
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Bonitätsbewertungen
Schufa will Kontoauszüge auswerten
und mit vorhandenen Verbraucherdaten zusammenführen
Von Iris Bents, NDR
Deutschlands größte Wirtschaftsauskunftei, die Schufa, will in Zukunft offenbar Verbraucher auch anhand ihrer Kontoauszüge bewerten. Nach Recherchen von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ (SZ) hat das Unternehmen Anfang November im Rahmen einer Zusammenarbeit mit dem Mobilfunkkonzern Telefónica/O2 erste Schritte unternommen, um an solche sensiblen Daten zu gelangen. In den vergangenen Monaten hatten Schufa-Mitarbeiter auf Branchenveranstaltungen immer wieder über Pläne berichtet, die Daten von Kontoauszügen mit bei der Schufa bereits vorhandenen Verbraucherdaten zusammenführen zu wollen. Dadurch sei die Schufa in der Lage, umfassende Auswertungen im Hinblick auf die Zahlungsfähigkeit und weitere Kriterien wie Risiken oder Vorlieben von Verbraucherinnen und Verbrauchern durchzuführen.
Seit Einführung der Zweiten EU-Zahlungsdiensterichtlinie (PSD2) ist es möglich, dass sogenannte Kontoinformationsdienste Einblick auf Konten bekommen können. Voraussetzung ist, dass der Kunde dem zustimmt. Die Schufa hatte Ende Dezember 2018 den von der Bankenaufsicht BaFin lizenzierten Münchner Kontoinformationsdienst Finapi GmbH gekauft, der nach eigenen Angaben potenziell Zugriff auf mehr als 50 Millionen deutsche Bankkonten hat.
Aus internen Schufa-Dokumenten geht hervor, dass die Finapi GmbH auch deshalb von der Schufa übernommen wurde, um an Kontodaten von Verbrauchern zu gelangen. Der Kontoeinblick eröffne ein „umfangreiches Potenzial in Hinblick auf Bonitätsbewertung, Affinitätsscores oder Ermittlung der Lebenssituation“, heißt es in einer Schufa-Präsentation vom Frühjahr 2019. In einer Branchenveranstaltung im Sommer 2020 erklärte ein Mitarbeiter der neuen Schufa-Tochterfirma, das Unternehmen könne in Kontoauszügen 65 Kategorien erkennen, darunter Gehalt, Miete, staatliche Leistungen, Unterhaltszahlungen, Arztbesuche sowie Urlaubsreisen. Zudem könne man „Risikofaktoren“ wie Glücksspiel, Zahlungen an Inkassoinstitute oder Rücklastschriften identifizieren, die beispielsweise bei einem Kreditantrag wichtig sein könnten.
Erste Schritte, um an Kontoauszüge zu gelangen, hat die Schufa im Rahmen ihres neuen Produkts „Schufa CheckNow“ unternommen. Am 4. November 2020 begann eine dreimonatige Testphase in Zusammenarbeit mit dem Mobilfunkanbieter Telefónica/O2. Potenzielle Neukunden, die normalerweise aufgrund ihrer schlechten Bonität keinen O2-Handyvertrag bekommen würden, können sich von der Schufa auf ihr Konto schauen lassen. So kann die Auskunftei eine neue und womöglich bessere Bonitätsbewertung erstellen, die dann doch einen Handyvertrag möglich macht. Solche Daten würden danach umgehend gelöscht, so das Unternehmen.
Darüber hinaus jedoch sollen die Kunden eine freiwillige Einwilligung geben, die der Schufa weitgehende Rechte einräumt, die Kontoauszüge der vergangenen drei Monate zu speichern, auszuwerten und zur „Entwicklung und Weiterentwicklung von eigenen Dienstleistungen und Produkten“ zu verarbeiten, wie es in der Einwilligungserklärung heißt. …
Im Rahmen des Dienstes „Schufa CheckNow“ würden keine Daten Dritter und Gesundheitsdaten gespeichert, heißt es in einer Schufa-Presseerklärung vom 16. November. Ob dies auch für die freiwillig von Verbrauchern zur Verfügung gestellten Daten gilt, ließ das Unternehmen auf Nachfrage offen. In der Pressemitteilung spricht die Schufa von „voller Datenkontrolle des Verbrauchers“, das Unternehmen handle datenschutzkonform. Eine Datenverarbeitung von Kontoauszügen für Schufa-eigene Zwecke finde nur statt, „wenn der Verbraucher – und zwar ausdrücklich und unabhängig von der eigentlichen Dienstleistung – eine gesonderte Einwilligung“ erteile. Im Rahmen der augenblicklichen „Testphase“ speichere man bislang keine Daten. …
Die neue Dienstleistung „Schufa CheckNow“ sowie die Möglichkeit einer „freiwilligen Datenspende“ an die Schufa werden derzeit vom zuständigen Bayerischen Landesamt für Datenschutzaufsicht auf ihre rechtliche Zulässigkeit geprüft. Bayern ist zuständig, weil die Schufa-Tochterfirma Finapi GmbH dort ihren Sitz hat. Zum Ausgang der Prüfung wollte sich die in Ansbach ansässige Behörde nicht äußern. Behördenleiter Michael Will zeigte sich jedoch grundsätzlich skeptisch, ob die Verbindung aus einer Auskunftei und einem Kontoinformationsdienst – wie im Fall Schufa/ Finapi – „so legitim, so hinnehmbar“ sei. „Das sind zwei unterschiedliche Geschäftsmodelle, mit denen wir es hier zu tun haben“, so Will.
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