Open Password – Dienstag,

den 29. Mai 2018


# 372

 

Zukunft der Informationswissenschaft – Winfried Gödert – Relevanzproblem –
Abgrenzungen – Informationskompetenz – Informationelle Autonomie –
Ausgrenzungen – Yuval Harari – Transhumanismus – Primat des algorithmischen
Prozessierens – Dave Eggers – Selbstverständnis – DGSVO – Twitter – SVP – Market Intelligence


Zukunft der Informationswissenschaft

Digitale Euthanasie?

Von Winfried Gödert

Erschreckt die Formulierung des Titels? Dann wäre mindestens die Aufmerksamkeit dafür geweckt, welche gedankliche Zumutungen der nachfolgende Text enthält. Erschreckt die Formulierung nicht und ist die Zusammenstellung der Vokabeln unverständlich? Dann ist dies vielleicht ein Zeichen einer Generationenzugehörigkeit oder einer digitalen Kluft?

Informationswissenschaft und -praxis definieren sich über den Zweck, für informatorische Probleme geeignete Lösungen und nützliche Werkzeuge zu entwickeln und anzugeben. Eine adäquate Erfüllung dieser Aufgabe bedarf des Bildes eines informatorisch kompetent handelnden Menschen. Die zunächst unverfänglich erscheinende Aufgabenstellung bekommt damit in der digitalen Welt schnell einen Bezug zu Vorstellungen des Bildes vom handelnden Menschen. Eine überzogene Charakterisierung? Vielleicht – vielleicht auch nicht.

Legen wir unseren Überlegungen beispielhaft eine immer wieder zu hörende Frage zugrunde: Warum meldest Du nicht bei Facebook an, warum partizipierst Du nicht an den Möglichkeiten sozialer Netze?

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Hat die Informationswissenschaft etwas zu Facebook zu sagen?

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An dieser Frage soll uns hier interessieren, ob man für eine Antwort eine spezifische informationswissenschaftliche Kompetenz einbringen kann. Nehmen wir zunächst eine Umformulierung vor. Wird durch die Registrierung bei Facebook oder einem sozialen Netzwerks ein informatorisches Problem gelöst? Lautet die Antwort: „Ja“, so können in Analogie zu anderen Informationssystemen und -ressourcen bewährte Kriterien benutzt werden, um die Wahl dieser speziellen Ressource für die Lösung des informatorischen Problems zu bewerten und mit anderen Ressourcen zu vergleichen. Orientiert sich die Antwort jedoch allein an der Funktion der Ressource zur Etablierung oder Stabilisierung  einer sozialen Gruppe mit Insider- und Outsider-Merkmalen, so wäre die Antwort „Nein“, es gibt keine spezielle informationswissenschaftliche Sicht auf das Problem, es handelt sich um ein Alltagsproblem, das mit Hilfe des gesunden Menschenverstandes durch Abwägen der Gründe für und wider eine Handlungsweise gelöst werden kann.

Die aktuelle Diskussion ist voll von Argumenten, die hier nicht wiederholt werden müssen. Wer will in diesem Mix aus Interessen und emotional geprägten Faktoren eine seriöse und allgemeine Entscheidungshilfe anbieten? Allenfalls lassen sich empirische Daten erheben, die aber nicht zu normativen Aussagen führen. Wer für sich und seine soziale Einbindung, für die Sehnsucht nach Bestätigung der Selbstdarstellung, Nachteile in einer Nichtbeteiligung sieht, wird sich erst beim Eintreten noch größerer Nachteile durch die Beteiligung in seiner Entscheidung beeinflussen lassen.

Muss sich die Informationswissenschaft und -praxis nun als unbeteiligt verstehen? Nein, wenn eine zweite Sicht eröffnet sich, wenn man ihr die Aufgabe zugesteht, über die informationspraktische Handlungsanleitung hinaus Erkenntnisse über allgemeine Zusammenhänge zu gewinnen, zu formulieren und daraus vielleicht normative Aussagen abzuleiten. Dazu braucht es allerdings ein Bild eines informatorisch kompetent handelnden Menschen.

Es wäre vermessen zu sagen, dass es dieses Bild bereits gäbe. Daher können die nachfolgenden Ausführungen nur auf einem Bild aufbauen, das allein als Vorschlag dienen kann, über dessen Allgemeinverbindlichkeit aber keine Aussagen möglich sind. Dieses Bild kann zusammengefasst werden als: Informationelle Kompetenz ist gelebte informationelle Autonomie. Es ist an dieser Stelle nicht möglich, eine umfassende Erläuterung oder Ableitung dieser Charakterisierung zu geben, dies muss der Darstellung an einem anderen Ort vorbehalten bleiben. Unmittelbar ersichtlich ist, dass dieses Konzept dem autonom handelnden menschlichen Individuum eine zentrale und starke Position zuweist.

Nun kann man sich den Charakter der Frage nach einer Nicht-Beteiligung an einem sozialen Netz klarmachen. Warum überhaupt sollte ich begründen, warum ich etwas nicht tue? Dieses Ansinnen wäre zu rechtfertigen, wenn es um eine Begründung dafür geht, etwas nicht unterlassen zu wollen, obwohl es durch ein Gesetz verboten ist. Also zum Beispiel, warum ich die Straftat nicht unterlassen habe. Oder muss ich etwa begründen, warum ich die Straftat nicht begangen habe oder nicht begehen werde?

Es ist legitim, neue Verfahren oder Techniken als Grundlage für ein Geschäftsmodell zu nehmen und es dem Markt und den Kunden zu überlassen, ob sie davon Gebrauch machen wollen. Das erleben wir täglich und sind vertraut mit vergleichenden Diskussionen über die Anschaffung oder den Nutzen des einen oder anderen Produkts der einen oder anderen Marke. Wir orientieren uns in der Regel an Merkmalen, die uns wichtig sind. In der Regel begründen wir bei der Auswahl des einen Produktes nicht, warum wir uns nicht für die 42 Konkurrenzprodukte entschieden haben.

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Das Handeln des Menschen unter dem Primat des algorithmischen Prozessierens gesetzt.
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Eine neue Dimension wird jedoch erreicht, wenn die Frage nach der Nicht-Nutzung mit einer sozialen Stigmatisierung und Ausgrenzung verbunden ist, wie dies im Fall der sozialen Netze zu beobachten ist. Nichtbeteiligung wird gerne als Zurückgebliebenheit gewertet. Dabei übersieht man, dass die Trendfolger von heute potenziell die Abgehängten von morgen sind. Die Jagd nach dem Trend wird zur Falle, aus der es ohne Reflexion der Zweckbestimmung kein Entrinnen gibt. Verschärft wird die Bewertung jedoch, wenn sie über den Einzelfall hinaus den ganzen Menschen trifft, wenn das Urteil aus einem Bild vom Menschen gespeist wird, das nicht mehr dessen Würde als selbstverständliches und unhinterfragtes Attribut versteht, sondern den Wert des Menschen an seiner Funktion als Datenlieferant für Big-Data-Auswertungen misst.

Für diesen zunächst absurd anmutenden Sichtwechsel werden bereits seriös etikettierte Begründungen gegeben. In dem viel beachteten Buch Homo Deus von Yuval Harari werden Merkmale des sogenannten Dataismus oder Transhumanismus beschrieben. Man kann sich aussuchen, ob man dies als Fortsetzung oder Ablösung von Vorstellungen des sogenannten evolutionären Humanismus ansehen will, in denen die Vorstellungen von Rassenselektion zur Hervorbringung eines Übermenschen dienen. Die Menschheit wird durch eine neue Herrenrasse (nunmehr nichtmenschliche autonome Maschinen mit künstlicher Intelligenz) abgelöst. (vgl. Harari, S.356, 370, 497 ff.) Da dies in einem autonomen biologischen Sinn nicht möglich ist, muss wenigstens die Fiktion als Projektion der Möglichkeit herhalten. Entscheidend ist, dass das Handeln des Menschen unter den Primat des Rationalen, des algorithmischen Prozessierens, gesetzt wird, bei dem der Mensch für die Bearbeitung wohl definierter Aufgabenstellungen der maschinellen Intelligenz unterlegen ist und sich Handlungsanweisungen geben lassen muss, um keine Fehler zu machen. Plakativer und gefälliger wird diese Thematik in dem Buch Der Circle von Dave Eggers dargestellt.

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Sind wir allein Beobachter einer Entwicklung oder gestaltende Akteure?

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Für unsere Profession könnten sich damit die Fragen verbinden: Sind wir allein Beobachter einer Entwicklung oder gestaltende Akteure? Welche Vorstellung haben wir in letzterem Fall vom informationell autonom handelnden Menschen zur Begründung informationeller Kompetenz? Aus den Antworten lässt sich die Erläuterung für die zugespitzte Formulierung des Titels ableiten: Stärken wir das Bild vom informationell autonom handelnden Menschen oder leisten wir einer Entwicklung Vorschub, die über Selektion zu Stigmatisierung und Ausgrenzung führen, bei schlimmster Entwicklung in digitaler Euthanasie münden kann?

In der Serie „Westworld“ könnten nichtmenschliche autonome Maschinen mit künstlicher Intelligenz die Herrschaft über die Menschen beanspruchen. Oder tun sie es doch nicht?

Twitter schränkt Dienste wegen DSGVO ein. Twitter’s connected-TV footprint is about to get smaller — as the company works to get certain apps into compliance with Europe’s new data-privacy law. Effective Thursday, May 24, Twitter will no longer support video-based apps for Roku, Android TV devices or Microsoft’s Xbox. Twitter is shutting down apps for those platforms because it would need to make changes to them in order to comply the European Union’s General Data Protection Regulation (GDPR), which takes effect on May 25.

Quelle: Outsell

SVP-Fachtagung

„Zukunft kompakt“

13.-14. September, Zukunft kompakt“ – 12. Fachtagung „Market Intelligence“, in der Print Media Academy, Heidelberg. Das Programm:

  1. September, 13 Uhr, Workshop 1: Business War Gaming / Szenarioanalyse – Weder Krieg noch Spiel (Florian Rapp, SVP) – 13 Uhr, Workshop 2: Von Market Intelligence zu Schwarm Intelligence (Yvon Lusseault, ETAS GmbH) – 13 Uhr, Workshop 3: in Vorbereitung – ab 17 Uhr: Get together und geführte Tour durch Heidelberg.
  2. September, 9 Uhr, Begrüßung – 9.30 Uhr, Eine Zeitreise durch die MI – 2000 – 2040 (Paraskewi Lagos Huerta, Schott AG) – 10.45 Uhr, Innovationsmanagement mittels Market Intelligence – Fallbeispiele aus der Krebsdiagnostik (Ralf Eckert, Leica Bioystems GmbH) – 11.45 Uhr, Moderierter Fachaustausch Fachtagungsteilneher – 13.30 Uhr, Marketing Intelligence Krimi – Aus einem Niemnd wird ein Milliardenwettbewerber (Yvon Lusseault, ETAS GmbH) – 14 Uhr, Leveraging Smart Data for Business Success (Patrick Sutor, Heidleberger Druckamschinen AG) – 14.45 Uhr, Big Data – Neue Ansätze für Market Intelligence (Dr. Thomas Keil, SAS Institute GmbH) – 15.15 Uhr, Präsentation der Ergebnisse.

Archiv & Touchpoint

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