Open Password – Mittwoch,
- Juli 2018
# 399
Information Professional des Jahres – Sabine Graumann – Fachinformationspolitik – Anna Knoll – Kantar TNS – Information Professional – Informationswissenschaft – Gernot Wersig – Marktforschung – Soft Skills – Marktforschung – Datenbanken – Erschließung – FAKT – National Awareness Partner – Christine Werner – GBI – Statista – Modellversuch Informationsvermittlung – BMFT – EU-Kommission – DGI – Arnoud de Kemp
Information Professional des Jahres:
Sabine Graumann (I)
Den Möglichkeitsraum eines InfoPros
voll ausgeschritten
Eine Zeitreise entlang ausgewählter Projekte durch die Geschichte
der Fachinformation
Von der Datenbank FAKT
zu den National Awareness Partnern
Sabine Graumann ist Information Professional des Jahres. In der Jury von Open Password stimmte man gern zu, nachdem Anna Knoll ihren Namen ins Spiel gebracht hatte. Open Password führte mit ihr ein Gespräch zu ihrer aktuellen Situation und zu ihrer Lebensleistung.
Dazu eine Vorbemerkung: Sabine Graumann arbeitete zwar ihr berufliches Leben lang in nur einem Marktforschungsinstitut. Dieses wurde aber, sobald es in den Händen eines anderen Eigentümers übergegangen war, mehrere Male umbenannt. Im Folgenden soll meistens nur der Begriff Kantar TNS, also der heutige Name, gelegentlich auch der historische Name Infratest herangezogen werden.
Und eine Bewertung: Das Interview zeigt den Möglichkeitsraum eines Information Professionals zumindest im Bereich der Marktforschung auf und wie er über eine Reihe von Jahrzehnten weitgehend von Sabine Graumann ausgefüllt wurde. Dazu gehörte Kompetenz, Fortune, Resolutheit und die Fähigkeit, Herausforderungen kreativ zu meistern. Um an dieser Stelle einen Vertrauten von Frau Graumann zu zitieren: „Am besten ist Sabine immer dann, wenn es schwierig wird.“ Dies geschieht im Gespräch in einer Klarheit und Konkretheit, die in Beschreibungen der Arbeit und der Erfolge von Information Professionals eher ungewohnt sind, beispielsweise anhand von Empfehlungen für den InfoPro-Stand und in einer Zeitreise entlang der von ihr durchgeführten Groß- und kleineren Projekte, in der die Geschichte der Fachinformation neu ersteht. Sabine Graumanns unerschütterlicher Optimismus kommt auch darin zum Ausdruck, dass sie dem Nachwuchs empfiehlt, Information Professional zu werden. Wie wir sehen, hat sie dafür gute Gründe.
Sabine, wie wird man Information Professional?
Ich habe an der FU Berlin Informationswissenschaften bei Gernot Wersig, einem der Begründer der deutschen Informationswissenschaft, studiert und im Bereich Informationswissenschaft promoviert.
Du hast mehrere Jahrzehnte den IuD-Bereich bei TNS Infratest (heute: Kantar TNS) geleitet. Wie kommt man an eine solche führende Position in einem der größten und renommiertesten Marktforschungsunternehmen sowohl in Deutschland als auch weltweit?
Na ja, Zufall und Glück spielen auch eine Rolle. Aber von nichts kommt nichts. Man muss schon hart arbeiten und hartnäckig sein, darf sich nicht beirren lassen, wenn es mal nicht so läuft, wie man es gern hätte, und Durchhaltevermögen zeigen. Man muss wissen, was man auf längere Sicht erreichen will und durchaus eine Vision haben, wie sich der eigene Bereich auf längere Sicht weiterentwickeln soll. Und man kann sich unter Kollegen, die ja alle ausgefuchste Experten sind, nicht so einfach durchsetzen, sondern hat geduldig Überzeugungsarbeit zu leisten.
Ähnliches gilt für die Mitarbeiter, die alle überzeugt werden wollen. Ich hatte das große Glück, tolle und verlässliche Mitarbeiter für mein Team zu finden, die mitzogen Es galt immer, sie zu fördern und zu fordern.
Deine Promotion war bereits stark durch Deine Erfahrungen bei Infratest geprägt.
In den 80er Jahren standen für mich als Leiterin des IuD-Bereiches Aufgaben der Dokumentation im Mittelpunkt. Das bedeutete vor allem:
– die Erstellung EDV-gestützter Datenbanken, damals noch auf Großrechnern:
– die inhaltliche Erschließung von Dokumenten, also von Studien, Literatur, Fragebögen und schließlich von Fakten mittels Abstracts und Thesauri;
– die Qualifizierung unserer Marktforscher, damit sie die benötigten Informationen in unseren internen Datenbanken fanden.
Damals arbeiteten wir gern mit dem Slogan: Knowledge is not power. Only shared knowledge is power. Von dort war es zu meinem Promotionsthema nicht weit: Wie man am besten Wissen und Informationen in Marktforschungseinrichtungen organisiert. Die Promotionsprüfung legte ich 1990 ab.
Sabine Graumann auf der Berliner Informare
Dann leistetest Du Pionierarbeit für die Branche, indem Du eine der ersten deutschen Faktendatenbanken, nämlich FAKT, aufbautest.
Das geschah in den Jahren 1990 – 1996. FAKT ist aus einem Wutanfall entstanden. Ich wollte Zahlen aus einem Bericht in einer Tageszeitung dokumentieren, aber einer unserer fleißigen Marktforscher hatte die entsprechende Tabelle aus der Tageszeitung herausgerissen und so hatten wir diese Zahlen nicht mehr. Da kam ich auf die Idee, die wichtigsten Fakten und Zahlen zu speichern und die veröffentlichten Grafiken in Tabellen umzusetzen. Die Inhalte sollten in Deutsch verfügbar, Zugriffe über den Thesaurus auch in englischer Sprache möglich sein. Die Datenbank war zunächst nur für die Marktforscher von Kantar TNS verfügbar. Dann nahm sich Christine Werner von der GBI der Datenbank an und brachte sie für die allgemeine Nutzung online. Wir haben damals mit FAKT, das in seiner Ausbaustufe mehr als 100.000 Tabellen anbot, gutes Geld verdient, obgleich die allgemeine Lage der Fachinformationsdatenbanken noch schwierig war. FAKT wurde bei uns über viele Jahre akribisch gepflegt. Später wurde die Datenbank an die GBI verkauft. Sie wird dort heute unter „Genios-Statistiken“ vertrieben.
Im Nachhinein lässt sich sagen, dass FAKT ein früher Vorläufer von Statista war, das heutzutage mit der geschickten Visualisierung allgemein verfügbarer Daten erfolgreich auf den Märkten agiert und eine Größe erreicht haben dürfte, die über die der heimischen Informationsanbieter hinausgeht.
Du hattest mir eine Zeitreise entlang Deiner vielen Projekte mit externen und internen Kunden zugesagt? Welches unter ihnen war das schönste?
Puh. Das ist zwar eine legitime Frage. Aber ich kann sie ehrlich gesagt nicht beantworten. Das, was mir Infratest an Projekten geboten hat, war irgendwie immer einzigartig.
Du hattest bereits externe Kunden, als es FAKT noch nicht gab.
Modellversuch Informationsvermittlung. 1989 konnte man sich beim Bundesministerium für Forschung und Technologie um eine Teilnahme am „Modellversuch Informationsvermittlung“ bewerben. Damals wurde den InfoPros eine große Zukunft vorausgesagt und es schien nur darum zu gehen, die ersten Barrieren für sie zu überwinden. Wir boten an, die Marktforscher an die Nutzung von Fachinformationsdatenbanken heranzuführen, und schlugen als Laufzeit drei Jahre vor. Nachdem ich den Projektantrag eingereicht hatte, saß ich da und wartete darauf, dass er bewilligt (oder besser nicht: abgelehnt) würde. Aber es tat sich nichts. Einen Tag, bevor das bereits bei Infratest eingegangene Geld an das BMFT zurückgeschickt werden musste, rief mich unser Controller an und fragte, ob ich für dieses skurrile Projekt zuständig sei. Ich bejahte und konnte so mein erstes Forschungsprojekt für Infratest akquirieren.
National Awareness Partner. Zu dieser Zeit erkannten nicht nur das BMFT, sondern auch die Europäische Kommission, dass Deutschland und Europa zwar viele schöne Fachinformationsdatenbanken aufgebaut hatten, dass aber kaum einer willens oder fähig war, diese zu nutzen. Also beschloss die Kommission, mehr „Awareness“, also mehr Bewusstsein unter den Nutzern von Online-Datenbanken zu schaffen, und um dies zu erreichen, bediente sie sich der Hilfe von Partnereinrichtungen vor Ort, den „National Awareness Partnern“. Das führte, um hier nicht nur von Arbeit zu reden, zu tollen Tagungen im Beachclub von Monaco. Das gipfelte in einem Five o‘clock Tea Dance im Negresco und endete zu später Stunde in einem weiteren Tanz auf der Strandpromenade von Nizza.
Das National-Awareness-Programm brachte Dich der Verbandsarbeit nahe.
Vizepräsidentin in der DGI. Ja, ich hatte in diesem Projekt eng mit der DGI, damals die Deutsche Gesellschaft für Dokumentation, zusammenzuarbeiten. Die DGI hatte die Aufgabe, über ihr Netzwerk Kandidaten in jedem Bundesland für die Position eines National Awareness Partners zu identifizieren, und Kantar TNS koordinierte die Aktivitäten aller National Awareness Partner für alle Bundesländer. Diese wiederum qualifizierten Mitarbeiter in den Unternehmen dafür, wie kommerziell betriebene Datenbanken optimal für die Unternehmensziele einzusetzen waren. Daher lag es aus Sicht der DGI nahe, mich auf die Möglichkeit der Übernahme einer Position in ihrem Vorstand anzusprechen. Ich war dann sechs Jahre Vizepräsidentin der DGI. Damals schafften wir es, die Zahl der Mitglieder mit einem aktiven Marketing unseres legendären Präsidenten Arnoud de Kemp auf über 3.000 zu erhöhen.
Lesen Sie in der nächsten Folge: Die internationalen und nationalen Großprojekte
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