Open Password – Montag, den 27. März 2017

#178

Steilvorlagen für den Unternehmenserfolg – Henrik Schreiber – Informationsabschottung – Jochen Lennhof – Minesoft – Chemierecherchen – Patentinformationen – Sigrid Riedel – WTI – Chemical Abstracts Service – Password – Preispolitik – Informationszentren – Management – Outsourcing – Guido Schenk – Factiva – Bernd Jörs – Softwareanbieter – Flatrate – Michael Klems – Kundenkontakte – Information Professionals

Steilvorlagen für den Unternehmenserfolg:
Information Strategies and Solutions
in Challenging Times

Die auf der „Steilvorlagen“-Veranstaltung gesprochenen Texte können im Podcast unter www.infobroker.de/podcast gehört werden. Bei den Veröffentlichungen in Open Password handelt es sich um publizistische Auswertungen und eine Auseinandersetzung mit den Inhalten. Dazu gehören auch Gewichtungen und Interpretationen.

Die Debatte: Anbieter und
Anwender im Gespräch

„Lasst uns wieder
an alle Quellen herankommen!“

 

Die Kappung des Marktes
durch die Flatrate

 

In den Unternehmen zerbröselt
das Know how für die qualifizierte Recherche

v.l.n.r. – Willi Bredemeier (Open Password), Jochen Lennhof (Minesoft), Henrik Schreiber (Recherche und Beratung), Siegrid Riedel (WTI eG), Michael Klems (infobroker.de)

Zweiter Teil

Zur Krise der Informationsbranche gehöre auch, dass die Informationsflut aus unzähligen Spams und einem Mangel an relevanten Informationen bestehe. Viele Quellen seien heute nicht mehr erreichbar, weil der Zugang zu ihnen geschlossen worden sei, sagt Henrik Schreiber von „Information und Beratung“. Die Monopolisierung der Informationsmärkte habe dazu geführt, dass der Prozess der Demokratisierung von Informationen beendet worden sei und beispielsweise im Bereich der Chemieinformationen nur mehr von Chemical Abstracts Service und Derwent gesprochen werde. „Es ist unmöglich, eine gute Chemierecherche mit Rohdaten durchzuführen.“ Sollten die beiden genannten Informationsanbieter ihre Geschäftspolitik ändern und ihn von ihren Informationsangeboten ausschließen, könne er seinen Laden zumachen. Schreiber antwortet auf die Möglichkeit, dass ihn nachts eine Fee heimsuchte und Wünsche freistellte, dass sein größter Wunsch sei: „Lasst uns wieder an alle Quellen herankommen!“

Hier widerspricht Lennhof für den Patentbereich: Die Demokratisierung sei angesichts der entsprechenden Politiken der Patentämter erhalten geblieben, und Minesoft gebe gern seine Informationen heraus. Dazu Sigrid Riedel: Über einen Mangel an Content könne man sich bei WTI nicht beklagen. Die Technische Informationsbibliothek, mit der die WTI in enger Kooperation verbunden sei, berge unzählige Informationen, sodass man bei weitem nicht mitkomme, was technisch möglich und wirtschaftlich wünschenswert sei.

Andererseits gesteht Schreiber ein, dass es bei den Anbietern auch uneinheitliche Entwicklungen gebe. So habe ihn Chemical Abstracts Service kürzlich mit einem positiven Zusatzangebot überrascht. Oder sollte die seinerzeitige publizistische Offensive in Kooperation zwischen Password und Schreiber, mit der gegen die Preispolitik von Chemical Abstracts Service, die gegen die freien Broker gerichtet war, Front gemacht wurde, doch etwas gebracht haben? Zudem sei die WTI eine löbliche Ausnahme.

Soweit die Momentaufnahme. Die Tendenz sei aber auch klar. Die Paketpreise würden weiter nach oben gehen und sich in fünf- und sechsstelligen Bereichen bewegen. Dies habe allerdings auch mit inhaltlichen und funktionalen Anreicherungen zu tun, beispielsweise um Möglichkeiten der Semantischen Suche. Wenn die freien Recherchebüros als Einstiegspreis 10.000 Euro auf den Tisch legen müssten, hätten sie, auch wenn sie über spezifische Branchenkenntnisse verfügten, kaum eine Chance mehr.

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Marketing unter erschwerten Bedingungen, weil wir keine emotionalen Erlebnisse zu liefern imstande sind?

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Nehmen wir die Krise der Informationszentren hinzu, die zugleich eine Krise ihres Managements ist (das sich allerdings typischerweise nicht in der Krise sehen dürfte). Einigkeit scheint darin zu bestehen, dass immer wieder Stellen für Information Professionals und damit auch Anlaufstellen und womöglich Budgets für Informationsanbieter und externe Recherchepartner wegfallen. Strittig bleibt hingegen, wie dieser Prozess zu bewerten sei. Denn wenn interne Recherchekapazitäten wegfallen, erhalten die externen Partner mehr Aufträge, da „ja irgendjemand die Arbeit machen muss. Wir leben im Moment davon, dass die Rechercheure in der Industrie weniger werden“ (Schreiber).

Bleibt demnach das gesamte Recherchebudget eines Unternehmens über die Jahre gleich? Das könnte allenfalls zutreffen, wenn Informationsanbieter und externe Dienstleister die bestehenden Potenziale tatsächlich mobilisierten.

Oder die Arbeit verlagert sich in andere Abteilungen und auf andere Stellen, die in einem mühsamen Prozess erst ausfindig gemacht werden müssen und mit guten Argumenten zu überzeugen und mit Qualifizierungsangeboten zu konfrontieren sind. Für diese potenziellen Neukunden, die möglicherweise nach für die Informationsbranche unüblichen Ausbildungswegen auf ihre Stellen gelangt sind, ist in einem Gespräch mit Guido Schenk von Dow Jones/Factiva die Bezeichnung „semiprofessionelle Information Professionals“ gefunden worden. Diese haben verstanden, dass man zum Erzielen angemessener Ergebnisse mehr als Google benötigt. Aber sie wollen auch nicht allzu viel Zeit und zu viele Ressourcen verschwenden. (Das Interview mit Dow Jones/Factiva wird in Kürze in Open Password veröffentlicht.)

Diese Kundengruppe zu gewinnen, die vielleicht auf ihre ganz eigene Weise internetaffin ist, kann mit besonderen Schwierigkeiten verbunden sein, weiß Sigrid Riedel. Das gelte auch für die Absolventen von Prof. Joers. Sie bedauert, kein Tablet in ihrem Angebot zu haben und mit ihren Informationen kein emotionales Erlebnis generieren zu können. So mögen die spröde wenn nicht altbackene Sachlichkeit von Fachinformationen und das auf ihnen basierende rationalistische Erkenntnis- und Arbeitsmodell inmitten der Aufgeregtheiten des Internets und der Vergnügungen der Sozialen Medien out of date wirken.

Die WTI hat versucht, den Bedürfnissen ihrer Kunden entgegenzukommen, indem sie ein Tutorial als Spiel entwickelt hat und seinen Kunden dann sagt: „Seht, dass könnt Ihr aus unseren Daten herausholen!“ Gamification als Lösung, um im Marketing und in der Öffentlichkeitsarbeit vor neuen Kundengruppen in Konkurrenz zu den Sozialen Medien zu bestehen? Solche Überlegungen dürften in der Informationsbranche auf absehbare Zeit ungewohnt bleiben.

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Ich bin voll für die Flatrate, wenn ich sie mir leisten kann.“
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Geraten auch die kleineren Informationsanbieter mehr und mehr in einen Belagerungszustand? WTI Frankfurt bemüht sich mit neuen Produkten seine Kunden zu halten und neue Kundenkreise zu gewinnen und deren Wünschen mit größtmöglicher Flexibilität entgegenzukommen. So fragten manche Kunden neuerdings nicht nur Daten, sondern Dossiers nach, oder statt WTI-Informationen alle Informationen, die relevant seien, unabhängig davon, welche Anbieter diese in ihrem Portfolio hätten. „Das wird eng mit den Kunden abgesprochen.“ Frau Riedel weist auf das große Feedback ihrer Kunden vor allem in Schulungen hin.

Da die Zahl der Broker zurückgehe, sei WTI ein Stück weiter ins Recherchegeschäft vorgestoßen. Neuerdings meldeten sich Softwarefirmen, denen die Unternehmen abverlangten, nicht nur die Tools, vielmehr den relevanten Content dazu zu liefern. Hier bahnten sich interessante Kooperationen an. Frau Riedel weist auf die Flexibilität der WTI auch in ihrer Preispolitik hin. So würden kleinere Pakete mit Blick auf die kleineren Budgets gestrickt. Und wenn jemand nicht für ein Jahr abschließen wolle, komme man dem Kunden auch in diesem Punkt entgegen. Damit habe man ganz neue Kundengruppen gewonnen und verzeichne steigende Umsätze.

Und was halten Sie von der Flatrate, Herr Schreiber? Er sei voll dafür, sagte der Broker, „wenn ich sie mir leisten kann“ …

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Müssen wir zu den KMUs und den Informationseinzelhändlern zurückkehren und uns fragen, was wir politisch für sie tun können?

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… und spricht wenig später eine Wahrheit aus, die für alle sehr bitter sein muss, die die seinerzeitigen Milliarden-Ausgaben der staatlichen Förderpolitik gerechtfertigt haben, weil man doch die Versorgung der kleinen und mittleren Unternehmen mit Informationen sicherstellen wollte: „Mit der Flatrate wird der Markt nach unten gekappt“ (Schreiber).

Handelt es sich bei den Ausgeschlossenen um einen „Bodensatz an Informationsbedarfsträgern“? Oder sollten wir, statt immer nur von der „Informationsinfrastruktur“ besonders für die staatlich organisierte Wissenschaft zu reden, zu den alten Zielgruppen – einschließlich der Informationseinzelhändler – zurückkehren und überlegen, was wir politisch für sie tun können?

Jochen Lennhof sagt hingegen zur Flatrate: Die Bepreisung nach Nutzung habe nicht geklappt, so dass man zur Flatrate übergegangen sei. Diese habe sich bewährt, auch wenn sich die Patentanwälte zunächst gesträubt hätten, weil sie nicht wussten, wie sie diese Kosten an ihre Mandanten weitergeben konnten. Allerdings setze eine Flatrate voraus, dass man die Minesoft-Lösungen regelmäßig nutze. Ähnliches gelte für die dafür notwendige Qualifizierung: Man nutze die Minesoft-Lösungen vor allem dann optimal, wenn man in der Übung bleibe.

Michael Klems fasst nach. Organisierung von Events, Webinare, Verwandlung von Tutorials in Entertainment, Newsletter, frohsinnige Videos auf YouTube undsoweiter, wäre ein derart verändertes Marketing von London aus zu leisten?

Dazu Jochen Lennhof: „Wir wachen jeden Morgen wieder auf und sind trotz Brexit immer noch ein Teil Europas.“ Was sich in all den Jahren gleichfalls nicht verändert habe, sei die entscheidende Bedeutung des persönlichen Gespräches mit dem Kunden vor allem in Besuchen, aber auch auf Kongressen und weiteren Veranstaltungen sowie über das Telefon, die E-Mail, den Help Desk und das Web. Ziel dieser Gespräche sei vor allem, dass die Kunden das Produkt kennen und richtig einzusetzen wissen. Man strebe eine hohe Kontinuität der Gespräche an, zumal es bisweilen Jahre dauere, bis ein Vertragsabschluss eingegangen werde. Die Gespräche seien auch notwendig, weil Minesoft zweimal im Jahr mit Updates herauskomme. Dann könne es passieren, dass sich ein Kunde eine bestimmte neue Funktion wünsche und man ihm antworten könne: „Die haben wir schon seit fünf Jahren.“

Die zentrale Aufgabe in den Kundengesprächen laute, Vertrauen aufzubauen und dieses Vertrauen zu verdienen. Dazu komme: „Wir verkaufen mit unseren Lösungen Zeitersparnis.“  Das Bedürfnis nach der Übernahme von Filterfunktionen nehme bei der Kundschaft angesichts der wachsenden Informationsflut zu und damit auch der Druck, neue Lösungen beispielsweise über Clustering oder Semantische Suchen zu entwickeln.

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Müssen wir die letzten qualifizierten Informationsvermittler unter Artenschutz stellen?
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Das alles gehe einher mit dem Bewusstsein, dass man es mit einer sehr heterogenen Kundschaft mit ganz unterschiedlichen Informationsbedarfen und Kompetenzniveaus zu tun habe. Die Patentanwälte, die sich vor allem für den Rechtsstand interessieren, wollen im Regelfall nicht recherchieren. Allerdings mögen sie sich für diese Aufgaben mittlerweile einen Ingenieur ins Büro geholt haben. In der Industrie gibt es die Unternehmen mit eigenen Patentabteilungen, in denen die großen Spezialisten sitzen. Aber es gibt auch jene Unternehmen, die an dem Produktionsfaktor Information desinteressiert sind und in denen der Ansprechpartner für die Informationsanbieter anscheinend durch Zufall zu seinem Job gekommen ist. Dieser muss erst an die Potenziale von Minesoft herangeführt werden. Neuerdings hätten Unternehmen Probleme damit, ihre Stellen zu besetzen oder die notwendigen personellen Investitionen zu tätigen. Dies könne die Zusammenarbeit mit dem Informationsanbieter erschweren und zu Auftragsrückgängen führen.

In seine Kritik bezieht Schreiber das Management der Unternehmen ein, das häufig nicht wisse, dass man qualifizierte Leute benötige, die die für das Unternehmen richtigen Fragen stellten (und diese gleich ansatzweise beantworteten). In den Unternehmen zerbröselt das Know how für die qualifizierte Recherche und für die Weiterverarbeitung der Ergebnisse.Schreiber verweist auf die „Beratung“ im Namen seines Unternehmens und bietet seine Hilfe bei der Definierung von „Eckpunkten“ an, wo aus einer unternehmensstrategischen Sicht auf Dauer Fragen gestellt und Antworten gefunden werden müssen. Das bleibe jedoch ein schwieriger Prozess. Wenn man beispielsweise einen weniger qualifizierten Ansprechpartner habe, könne es dreimal so lange dauern, bis es zu einer Auftragsvergabe komme. Oder die Aufträge seien inhaltlich schlecht formuliert, so dass für das Unternehmen nichts herauskommen könne.

Schreiber bestätigt die Aussagen von Lennhof und Riedel auch insoweit, als er sagt, dass seine Leute keine Probleme mit dem Help Desk hätten, der Help Desk allenfalls mit ihnen, weil sie immer wieder anriefen, da sie möglichst viel wissen wollten. “Wir sind die Nörgler, die alles erproben und die neuen Funktionen ausprobieren.“ Da würden sie schon mal mit den Worten empfangen: „Ihr seid es schon wieder.“

Sind sie die letzten Mohikaner, die sich für die Potenziale eines Produktes interessieren und zu seiner Weiterentwicklung beitragen? Müsste man die letzten qualifizierten Informationsvermittler demnach – wenn die Unternehmen und Informationsanbieter nicht bereit sind, sich einen Stamm an qualifizierten Leuten heranzuziehen, die wissen, was man alles mit ihren Informationsangeboten machen kann – unter Artenschutz stellen?

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