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Open Password – Montag, den 16. Januar 2017

#146

Rückblick 2016 – Ausblick 2017 – Guido Heinen – Wissenschaftliche Dienste des Bundestages – Exekutive – Lobbyisten – Medien – Fraktionen – Information Professionals im politischen Prozess – Fake News – Spin setzen – Kontrollverlust – Verifizierung – Qualitätssicherung – Vertrauenskrise – Postfaktizität – Bernd Jörs – Tim Brouwer – Jean Giraudoux


Rückblick 2016 – Ausblick 2017

Steilvorlagen für den Unternehmenserfolg:
Information Strategies and Solutions
in Challenging Times

Viele auf der „Steilvorlagen“-Veranstaltung gesprochenen Texte können im Podcast unter www.infobroker.de/podcast gehört werden. Bei den Veröffentlichungen in Open Password handelt es sich um publizistische Auswertungen und eine Auseinandersetzung mit den Inhalten. Dazu gehören auch Gewichtungen und Interpretationen.

Information Professional des Jahres:
Guido Heinen

Während wir die Kontrolle
über die Datenströme verlieren,
verschärft sich die Vertrauenskrise
zwischen Eliten und Bürgern

 

Informationsbranche nimmt an Verlust
der Qualitätssicherung teil

 

Die wissenschaftlichen Dienste des Bundestages als Verteidiger von Evaluierung und Verifikation

Ministerialdirigent Dr. Guido Heinen spricht über „Success Stories führender Informationszentren im politischen Prozess: Beschaffung, Analyse, Nutzung“.

Über den Referenten: Der Leiter der wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages studierte Theologie, Philosophie und Rechtswissenschaft an den Universitäten Würzburg und Fribourg/Breisgau. Nach einer journalistischen Ausbildung arbeitete er ab 1994 im Hörfunk und im Management der Deutschen Welle, zunächst als stellvertretender Ressortleiter Politik, später als Leiter des Teams für investigative Recherchen. 2006 wurde Heinen Leiter des Bereichs Presse und Kommunikation des Deutschen Bundestages und Sprecher des Präsidenten. Seit 2011 ist er Leiter der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages. Nach wie vor beschäftigen und faszinieren ihn die Schnittstellen von Information, Wissenschaft, Medien und Politik. Er ist 50 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Söhne. Außerhalb des Bundestages finden wir ihn auf dem Rad und auf alpinen Wanderfahrten.
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Kann ein Mitglied des Bundestages auf Augenhöhe gegenüber der Legislative, den Interessenverbänden und den Medien agieren?
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Bislang hat sich die diesjährige Steilvorlagen-Veranstaltung vor allem mit der Beschaffung und Analyse von Rohdaten befasst. Nachdem Heinen für sich und das Plenum eine powerpointfreie Zone eingerichtet hat, wechselt er die bisherige Perspektive der Tagung, indem er fragt, was mit den Daten geschieht, wenn sie in weitergehenden Analysen veredelt und beispielsweise in der Form von Studien interpretiert worden sind und nunmehr im politischen Prozess verwendet werden. Wie also gestalten sie die politischen Entscheidungsprozesse in einer offenen Gesellschaft und parlamentarischen Demokratie mit?

Wohl sind die Mitglieder des Bundestages nach dem Willen des Grundgesetzes (§ 38) in ihren Entscheidungen frei und niemandem Rechenschaft schuldig. So weiß das Grundgesetz nichts von einer Fraktionsdisziplin. Aber um kompetent zu einem Beratungs- und Gesetzgebungsprozess beizutragen und am Diskurs zur Gestaltung der öffentlichen Meinung mitzuwirken, bedürfen sie aufbereiteter Informationen.

Dabei ist es wichtig zu wissen, in welchem Kontext die Abgeordneten agieren. Vornehmlich in diesem. In der Bundesrepublik kämpfen drei Machtzentren um die politische Lufthoheit über die Themen:

  • die Exekutive mit Zigtausenden an Referenten und Spezialisten insbesondere in den Ministerien und angeschlossenen Instituten;
  • die Lobbyisten und Interessenvertreter mit irgendwo zwischen 5.000 und 10.000 Repräsentanten sowie fast 2.000 eingetragenen Verbänden allein in Berlin;
  • die Medien, die gegenwärtig zwar an Vielfalt verlieren, aber nach wie vor die Inhalte, Struktur und Form politischer Auseinandersetzungen mitbestimmen und auf die die Exekutive und Interessenvertreter weitgehend angewiesen sind, wenn sie sich an die Öffentlichkeit wenden wollen.

Heinen verweist zu Recht darauf, dass an der Organisierung von Interessen entgegen weit verbreiteter Volkes Meinung nichts anrüchig ist. Vielmehr müssen die bestehenden Interessen im politischen Prozess diskutiert und ausgeglichen werden. Im Übrigen sind auch die Exekutive und Legislative auf die Informationen und die Kompetenz der organisierten Interessen angewiesen. Allerdings sollten bestimmte Interessenvertreter nicht einseitig bevorzugt werden und sollte der Prozess der Einflussnahme so transparent wie möglich sein.

Gleichwohl stellt sich mit Blick auf die drei Machtzentren (und eventuell auf die Fraktionsführungen der Parteien) die Frage: Kann ein MdB auf Augenhöhe gegenüber ihnen agieren und im Zweifelsfall kompetent gegen den ihm gegenüber aufgebauten Druck entscheiden? (Glücklicherweise sind die drei Machtzentren und auch die eigene Partei keine monolithischen Blöcke.)

Gegenwärtig befinden sich diese Machtzentren (einschließlich des Bundestages) in einer Vertrauenskrise. Sie werden als ein geschlossener Komplex wahrgenommen, der fernab von den Bürgern und ihren Bedürfnissen agiert. Die wissenschaftlichen Dienste möchten einen Beitrag dazu leisten, dass das nicht wahr wird oder – falls Ansätze dazu vorhanden sein sollten – nicht so bleibt.

Kein Abgeordneter kann allerdings zwanzig Bücher, dreißig Diplomarbeiten und hundert Studien zu einem Thema lesen, über das er demnächst entscheiden soll. Noch nützt es etwas, einen Mitarbeiter zum Lesen und Exzerpieren in die Bibliothek zu schicken. Was ein MdB demnach braucht, ist die Übernahme der Funktionen der Auswahl, Filterung, Kondensation, Kompilation und Konzentration der vorliegenden heterogenen Informationen und Bewertungen durch einen externen Dienstleister.

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Der politische Prozess als Inszenierung von Teilwahrheiten.

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Diese Aufgabe übernehmen für ihn die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages. Die Dienste sind mit 60 wissenschaftlichen Mitarbeitern plus 30 weiteren Mitarbeitern im Support ausgestattet. Sie sind in zehn Referaten nach den wichtigsten politischen Themen, wie sie im Kabinett und in den Ausschüssen behandelt werden, gegliedert. Anders als viele wissenschaftlichen Dienste im Ausland, wo sich schon mal zwei drei Mitarbeiter zusammensetzen und sagen: „Jetzt machen wir mal ein Fact Sheet zu diesem offensichtlich anstehenden Thema“, werden die Dienste des Bundestages nicht proaktiv, sondern immer nur auf Anfrage eines Abgeordneten (eventuell noch eines Ausschusses) tätig. Fraktionen und Parteien können keine Aufträge erteilen, so dass die Überparteilichkeit der wissenschaftlichen Dienste gewahrt bleibt.

Nachdem die Frage des Abgeordneten so präzise wie möglich beantwortet worden ist, verfügt der Abgeordnete exklusiv über die erzielten Ergebnisse – dies aber lediglich vier Wochen lang. Anschließend wird das Ergebnis online gestellt und kann somit von der politischen Konkurrenz ebenso wie von allen Bürgern genutzt werden.

Akquirieren die Dienste auch unter ihren Kunden? Das ist mindestens ein Thema, seit es auch unter den Abgeordneten die Versuchung und einen Trend zur Googleization gibt.  Ein großes Problem für die Wissenschaftlichen Dienste sind die Konkurrenzunternehmen, aber darauf geht Heinen nicht im Einzelnen ein.

Heinen stellt fest: „In der Politik wird nicht gelogen.“ Vielmehr besteht die Unwahrheit in der Teilwahrheit und der politische Prozess aus der Inszenierung ausgewählter Teilwahrheiten.

Heinen hätte hier relativierend sagen können, dass das Aussprechen einer vollständigen Wahrheit bei einem komplexen Thema angesichts der Vielzahl von Aspekten und der Notwendigkeit zur Vornahme von Gewichtungen nicht möglich ist. Im Kampf um die Lufthoheit über ein politisches Thema geht es also unter anderem darum, welche Problemgrößen, Aspekte und Zusammenhänge die öffentliche Auseinandersetzung – auch unter Berücksichtigung von Interessentengesichtspunkten – bestimmen sollen.

Dabei haben die streitenden Parteien einen Prozess der Verwissenschaftlichung oder besser der „Pseudo-Verwissenschaftlichung“, vulgo „die Studie“, in Gang gesetzt, da es sich als nützlich erwiesen hat, auf Arbeiten zurückzugreifen, mit denen sich behauptete Zusammenhänge als „objektiv erwiesen“ darstellen lassen.

Heinen hat sich eines Morgens im dpa-Stream die Studien angesehen, die gerade erschienen sind und von der Berichterstattung der Presse-Agentur aufgegriffen wurden. Man könnte sich von der Zahl dieser Studien und der teilweisen Trivialität ihrer Ergebnisse erschlagen lassen, beispielsweise, dass Frauen mit einem Alter von 50 Jahren und höher gesunder als vor einem Jahrzehnt sind. Wir müssen nicht alle von Heinen angeführten Beispiele wiedergeben. Wichtig ist jedoch die Frage, welche Studien am ehesten eine Chance haben, von den Medien und im zweiten Schritt von den Teilnehmern an politischen Auseinandersetzungen zur Kenntnis genommen zu werden. Dazu müssen sie originell sein und einen Aha-Effekt auslösen – dies in dem Sinne: „Es ist alles ganz anders, als wir das erwartet haben“ oder auch „Mann beißt Hund“, nicht „Hund beißt Mann“ (letzteres ein altes journalistisches Evergreen).

Heinen erinnert an eine Fake-Studie mit der Botschaft „Schokolade macht schlank!“ Ein paar Journalisten hatten sich zusammengetan und solange herumgemessen, bis sie die gewünschten Ergebnisse erzielt hatten. Dann schafften sie es, mit ihren Ergebnissen in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift unterzukommen, hatten die Resultate also in einem glaubwürdigen wissenschaftlichen Kontext untergebracht. Danach breiteten sich die Ergebnisse wellenförmig in den Medien aus. Insgesamt berichteten mehr als 140 Zeitungen über die Studie.

Ein anderes Beispiel: Über 150 Zeitungen schrieben, dass James Cameron die britischen Unterhauswahlen gewonnen hat. Ihnen fällt nichts auf? Das macht nichts. Denn vom Beginn bis zum Ende einer medialen Verwertungskette merkte keiner, dass nicht der Schauspieler James Cameron, sondern der Politiker David Cameron die Unterhauswahlen gewann.

Wohl richtete die Studie keinen Schaden an, da es sich um eine Kleinigkeit handelt. Aber wenn es zu diesem einfachst zu findenden Fehler kommen konnte, was ist erst bei komplizierteren Themen möglich, in dem es zudem politisch um einiges geht? Was ist, wenn man sich politisch um Einzelheiten der Rentenreform, die Grenzziehung im Waffenstillstand zwischen der Ukraine und den Separatisten und die Entwicklung des japanischen Außenhandelsdefizits kümmern muss? Wie sicher können wir dieser Aussage sein: Wenn der Grenzwert X in einem klimapolitisch wichtigen Zusammenhang überschritten wird, kommt es zu den Konsequenzen Y und Z?

Und selbst dann, wenn richtig berichtet werden sollte, wer soll das alles verarbeiten und bewerten, wenn, wie geschehen, 180 Konsequenzen des Klimawandels, teils positive, teils negative, teils einander widersprechende, in einer Metastudie diagnostiziert worden sind?

Damit ist ein Kontrollverlust über die Daten- und Informationsströme eingetreten, bei dem wir alle verlieren. Nein, das stimmt nicht, da es Gewinner gibt. Das sind die ersten in der Medienwertschöpfungskette. Das sind die, die das Thema, den Spin und den Frame setzen und damit erfolgreich davonkommen. Die haben gesiegt, die den Ausschnitt der Welt festgelegt haben, auf den in dem kommenden politischen Diskurs Bezug genommen wird, ohne dass uns bewusst wird, dass wir in einem ganz anderen Bezugsrahmen denken könnten.

Nicht zu reden davon, dass die eingetretene Unübersichtlichkeit die Versuchung erhöht, vorliegende Informationen nach den Gesichtspunkten von Interessenten zu ordnen und sich dabei nicht einmal besondere Mühe geben zu müssen.

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Verpopularisierung und Vermedialisierung der Wissenschaft – Medienberichte ohne Verifizierung – Auch die Informationsbranche nimmt an dem Verlust an Qualitätssicherung teil.

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Was sagt uns das alles? Wir haben es mit einem Prozess der Verpopularisierung und Vermedialisierung der Wissenschaft zu tun. O.k., Irrtümer und Fehler hat es früher gleichfalls in wissenschaftlichen Arbeiten gegeben. Als um 1910 einer Assistentin ein Komma verrutschte, wurde über die Jahrzehnte fälschlicherweise ein erhöhter Eisengehalt im Spinat angenommen. Das hat den Frieden in den Familien unnötig belastet.

Was jedoch neu ist: der öffentlichen Kommunikation gehen die Verifikatoren verloren. Mit Blick auf die „Schokoladenstudie“ hat beispielsweise niemand gefragt: Hallo, sind Ergebnisse mit nur 52 Probanden aussagefähig?

Der aktuelle und rapide Rückgang der verifizierenden Stellen hat mehrere Gründe: Die Zahl der fachkundigen Journalisten geht absolut zurück. Da auch die Zahl aller festangestellten Journalisten zurückgeht, haben die für die Verifizierung eines Zusammenhanges infrage kommenden Journalisten weniger Zeit, sich darum zu kümmern. Haben Fragen der Verifizierung in der Ausbildung der Journalisten die gleiche Bedeutung wie früher?

Zudem geht die Zahl der fachkundigen Journalisten relativ zur Zahl der Studien zurück. Wir haben es mit einer Vermehrung und Ausdifferenzierung von Themen zu tun. Wo sich früher ein Lehrstuhl mit einem übergeordneten Thema befasste, müssen wir uns jetzt mit dem Output von acht Lehrstühlen und einer Aufsplitterung des übergeordneten Themenbereiches in acht benachbarte Unter-Themen befassen.

Und wenn es immer weniger Informationszentren und Information Professionals geben sollte, so nimmt auch unsere Branche am dem Verlust an Verifizierung und Qualitätssicherung teil.

Wie gehen die 630 Abgeordneten des Bundestages mit der so bewirkten Informationsflut um? Während der Strom der Informationen immer breiter, aber beileibe nicht tiefer wird, tun sie ihr Bestes. Dennoch werden sie von der Masse des ihnen offerierten nicht validierten Wissens bis hinunter zum Bereich der Basisfakten erschlagen. Der damit bewirkte Kontrollverlust kann so weit gehen, dass sogar in den Ausschüssen nur noch wenige Mitglieder den Durchblick und Überblick haben. Dabei sitzen dort ja nur Abgeordnete, die sich auf einen bestimmten Politikbereich spezialisiert haben.

Sind wir somit in eine postfaktische Demokratie eingetreten, in dem die Bürger und sogar die Multiplikatoren und Entscheider vor den Informationsströmen kapituliert haben und Fakten keine Rolle mehr spielen? Heinen würde lieber von einer „unübersichtlichen Demokratie“ reden. Ein hoher Grad von Unübersichtlichkeit ist sogar unabdingbar, da Demokratie nicht anders als multipolar, diskursiv und streitig sein kann. Aber der mittlerweile eingetretene Kontrollverlust wiegt schwer.
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Wir sind voll damit befasst, die Datenströme zu organisieren und vergessen darüber, was in ihnen steckt.
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Ohne Wissen gibt es keine Informationskompetenz. Soweit Bernd Jörs auf dieser Konferenz. Das klingt banal, ist aber wichtig und wird immer wichtiger. Wir sind so sehr damit befasst, Datenströme zu organisieren, dass wir darüber die eigentlich wichtigen Fragen vergessen: Was ist drin in den Daten? Was bewirken sie? Wo kommen sie her? Wir schweben in Gefahr zu vergessen, dass draußen Tausende hochbezahlter Fachleute daran arbeiten, diesen Workflow zu beeinflussen und zu manipulieren. Es kann nicht sein, dass die lautesten Stakeholder, das schickste Forschungsinstitut, das Unternehmen mit dem größten Expertenpool und die Einrichtung mit der schönsten Website den Spin setzen.

Und eine weitere Frage: Wie unterscheiden wir wissenschaftliche Erkenntnisse von Pseudo-Expertise und welche Kriterien ziehen wir zum Erkennen von Experten heran?

In diesem Zusammenhang ist auch die Frage nach der Unabhängigkeit der Wissenschaft und der Hochschulen zu stellen. Kommt durch die Forschungsfinanzierung von Google und weiterer Einrichtungen interessengeleitete Forschung zustande und wie können wir den Bias erkennen? Wenn der Referentenentwurf zu einem Gesetz von einer Kanzlei formuliert worden ist, so ist das ein Skandal. Allerdings ist es normal, wenn Vorschläge von Interessenten kommen. Es muss aber erkennbar sein, welche Kanzlei diese Vorschläge unterbreitet hat und welche Interessen die Kanzlei vertritt.

Und: Gibt es zu diesen Fragen das nötige Problembewusstsein?

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Einen Irrtum erkannt man daran, dass er von der Welt geteilt wird.

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Die wissenschaftlichen Dienste bemühen sich dagegenzuhalten und einen multiplen Ansatz zur Durchdringung der Unübersichtlichkeit von Wirklichkeit aufrechtzuerhalten, beispielsweise indem Heinen immer wieder fragt: „Habt Ihr eine zweite Quelle?“ Er vergleicht seine Dienste mit einem Mähdrescher, der anders als der kleine Rasenmäher auch die seltenen Kräutlein am Rande eines Feldes mitnimmt. Soll heißen: Man versucht alles Relevante zu einem Thema als Input aufzunehmen und wird sich nicht von wenigen Quellen abhängig machen.

Letztlich entscheidet die Kompetenz des Mitarbeiters darüber, wie die wissenschaftlichen Dienste ihre Aufgaben der Evaluierung und Validierung von Daten- und Informationsströmen lösen. Hier findet Heinen die Metapher eines Eisberges. Zehn Prozent des immensen Hintergrundwissens des Mitarbeiters werden in seinen Antworten an die Abgeordneten sichtbar, neunzig Prozent bilden das Fundament dieser Antworten und „bleiben unter Wasser“. Um zwölf Seiten eines abgesicherten Textes zu schreiben, muss der Mitarbeiter womöglich an die tausend Seiten und mehr gelesen haben.

Die Bedeutung ständiger Weiterbildung der Mitarbeiter nicht nur durch Lektüre, sondern auch durch Teilnahme an Tagungen ist kaum zu unterschätzen. Heinen ermuntert die wissenschaftlichen Mitarbeiter ebenso wie die Sachbearbeiter und die Mitarbeiter am Help Desk für Schnellrecherchen, sich kompetent zu machen und kompetent zu halten. Ein Transfer des Wissens auf andere Themenbereiche ist möglich. Wer sich in zwei oder drei Themenfeldern kundig gemacht hat, erkennt auf einmal, wie in anderen Bereichen der Spin gesetzt wird.

Tim Brouwer hat bereits von den Fallen kognitiver Dissonanzen gesprochen. Die Versuchung, nur zur Kenntnis zu nehmen, was man von vornherein glaubt, ist überall. Desto wichtiger ist die Bereitschaft, zu staunen, sich von unerwarteten Zusammenhängen überraschen zu lassen und eine Perspektive der interessenfreien Neugierde zu pflegen. Diese Fähigkeit ist täglich neu zu erarbeiten.

Spätestens seit der Geburt Preußens wird die Hierarchie mit ihrer Befehl-und-Gehorsam-Kette in öffentlichen Einrichtungen nicht infrage gestellt. Anders bei den wissenschaftlichen Diensten. Dort legt der Autor seine fertig gestellte Arbeit zwar seinem Bereichsleiter und eventuell der Gesamtleitung vor. Aber im Unterschied zu fast allen anderen wissenschaftlichen Diensten dürfen sich die wissenschaftlichen Mitarbeiter in ihren Antworten selbst positionieren und zu dem Ergebnis kommen, das sie für richtig halten. Das tun sie in 400 bis 500 Antworten in ihren insgesamt 1.800 bis 1.900 Antworten im Jahr.

Allerdings sollte die Herleitung des Ergebnisses transparent und voll nachvollziehbar sein und der MdB die Antwort der Dienste auch dann gebrauchen können, wenn er sich dessen Schlussfolgerungen nicht zu eigen machen will. Das gebietet schon der Respekt vor dem Kunden. Wenn zwei Abgeordnete dieselbe Frage stellen, erhalten sie auch dieselbe Antwort. Die Wissenschaftlichen Dienste erhalten aus diesem Nachweis ihrer Überparteilichkeit einen Teil ihres Renommees.

Oder anders gesagt: Die Wissenschaftlichen Dienste sind nicht dazu da, die Abgeordneten glücklich zu machen. Eine gute Antwort der Dienste kann so gestrickt sein, dass sie den Abgeordneten auf den ersten Blick enttäuscht.

In diesem Sinne lassen die Leitung dem Autoren jede Unterstützung zuteil werden, auch wenn das Ergebnis nicht der persönlichen Meinung der Leitung entspricht. Um ihre Bereitschaft, einen Widerspruch des Autoren zum Mainstream zu akzeptieren, mit einem Zitat von Jean Giraudoux deutlich zu machen: „Man erkennt einen Irrtum daran, dass alle Welt ihn teilt.“

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Die Abgeordneten bleiben eine abhängige Variable.

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Ein Fazit. Das war ein Highlight, aber kehren wir zur Ausgangsfrage zurück: Können die Abgeordneten mit Hilfe der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages auf Augenhöhe mit Legislative, Fraktionsleitung, Lobbyisten und Medien verkehren? Punktuell und in Detailfragen ja.  Gleichwohl sehen wir die Abgeordneten im Machtspiel mit den obigen Instanzen als abhängige Variable, Denn bevor sie überhaupt eine Frage stellen können, ist zu viel an Agenda- und Paradigmen-Setting passiert, was sie als gegeben hinzunehmen haben.

 

Rückblick 2016 – Ausblick 2017

Die Gewinner des Jahres

 

Trend des Jahres

  • –                                                                       Beitrag kommt in Kürze
  • Die Verwandlung des Internets                         Statement von Redaktion Open
    in Fake News, Hass, Shitstorms,                          Password, am 9. Januar erschienen,
    Manipulation, Cyber War und                             (#142)
    Verfestigung autoritärer Regime

Postfaktizität

Die Entwicklung zur                                           Beitrag von Marc Sander
postfaktischen Gesellschaft                                am 12. Dezember erschienen (#138)

Postfaktische Wellnessblase                               Beitrag von Dieter Schumacher
am 9. Januar erschienen (# 142)

–                                                                                                                                                                                               Beitrag kommt in Kürze

–                                                                         Beitrag kommt in Kürze

Information Professional des Jahres

Guido Heinen, Leiter der wissen-                     Tagungsbericht „Steilvorlagen“
schaftichen Dienste des Bundestages              am 16. Januar erschienen

–                                                                          Beitrag kommt in Kürze
–                                                                          Beitrag kommt in Kürze

Oliver Fiechter und Philip Löpfe,                        Rezension von Stephan Holländer
Autoren von „Aufstieg der digitalen                    12. Oktober erschienen (#115)
Stammesgesellschaft“

Einrichtung des Jahres

–                                                                             Beitrag kommt in Kürze

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