Open Password – Donnerstag,
den 22. Februar 2018
#323
London Info International – Elgin Helen Jakisch – Springer Nature – Nicola Jones – Verlagsübergreifende Zusammenarbeit – Open Access – Wilma van Weezenbeek – UB Delft – Niederlande – Open Data – Hannah Hope – Wellcome Trust – Forschungsdaten – Danny Kingsley – Scholarly Communication Cambridge – Start ups – Johan Tilstra – Lean Library – Disruptor Zone – UB Utrecht – Fake News – Soziale Medien – Fiona Bradley – Research Libraries – Paul Evans – Substantive Media – Arthur Weiss – AWARE – Bibliotheken – Digitalisierung – David Smith – Fake News
London Info International
Umwälzung, Unsicherheit und Start ups,
die die Szene aufmischen
Von der leichten Verführbarkeit vieler Nutzer durch „Fake News“
Widersteht die Wissenschaft
der Flut der Desinformationen?
Von Elgin Helen Jakisch
Teil 2
LII, Konferenz für neue Strategien und Best Practices im Angesicht neuer Umwälzungen.
________________________________________________________________________
Open Content, open answers.
________________________________________________________________________
Neue Wege der Contentaufbereitung geht SpringerNature. Interdisziplinäre aktuelle Themen werden neu zusammengestellt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, wie Nicola Jones von Springer Nature erläutert. Klimawandel, globale Gesundheit, Nachhaltigkeit und digitale Transformation werden in den Core-Zeitschriften des Verlages immer wieder behandelt und sind von allgemeinem Interesse (siehe https://grandchallenges.springernature.com/). Wenn sich ein neues Thema aufdrängt, publiziert der Verlag einen neuen Zeitschriftentitel. Wenn aber andere Verlage dazu beitragen würden, entstehe eine ganz andere jedenfalls vollständigere digitale Bibliothek oder Wissenswelt.
Die „Open-Bewegung“ hat die Wissenschaftslandschaft bereits stark verändert. Open Access hat aus Bibliothekaren Verleger gemacht und aus Verlagen Content Manager. Wilma van Wezenbeek (Direktorin der TU-Bibliothek Delft) berichtet, dass ihre Bibliothekare zu „Daten Stewards“ werden und die Wissenschaftler beim Flug in die publizistischen Umlaufbahnen begleiten. Ein Prinzip des Lebens sei das Teilen, so Wezenbeek, in einer grundsätzlichen Anmerkung. Die Niederlande haben sich in ihrer Strategie zum Ziel gesetzt, bis 2020 vollständig Open Access zu publizieren. In jedem Fall müsse öffentlich finanzierte Forschung ihre Ergebnisse öffentlich zugänglich machen. Das Peer Review geschieht nach der Veröffentlichung.
Bei Open Data ist man derzeit noch zurückhaltender. Erst ein knappes Drittel der Daten in den Niederlanden sind für die Nachnutzung zugänglich. Trotzdem wird ein neuer digitaler Impact erzeugt, der sich aus anderen Quellen als den bisherigen speisen wird. Man denkt inklusorisch: Alle Forschungsergebnisse werden gesammelt und könnten einst relevant werden. Auch Hannah Hope (Wellcome Trust) unterstützt die Entwicklung zu Open Data bei den akademischen Informationsproduzenten. Hierbei sei die Veröffentlichung der Ergebnisse in einem Artikel nicht mehr der „Gipfel der Tätigkeit“, vielmehr sei der gesamte Forschungsprozess wichtig zu nehmen.
Aber wie offen zugänglich sind diese offenen Daten wirklich? Heißt „open“ „offen für alles“? Für sensitive Daten sind Grenzen gesetzt und sicher auch für kommerzielle Interessen, die sich der „offenen Daten“ nicht nach Belieben bedienen dürfen. Wenn akademische Institutionen ihre Daten in eigenen Ökosystemen sammeln und dabei von Providern unterstützt werden, sind alle Seiten am Forschungsdatenmanagement beteiligt. Am Ende habe der Wissenschaftler abzuwägen, ob er sich für eine Lösung in seinem Institut entscheidet oder ob er seine Daten an einen kommerziellen Anbieter weitergibt, wie Danny Kingsley, Head of Scholarly Communication Cambridge, es zusammenfasst. Wie diese Entscheidungen insgesamt gesehen ausfallen werden, muss gegenwärtig offenbleiben.
________________________________________________________________________
Treffen mit den StartUps.
________________________________________________________________________
In der Session „Meet the Upstarts“ zeigten Neugründer, wie sie die Szene aufmischen und mit ihren flexiblen Geschäftsmodellen pragmatische Lösungen entwickeln. Der „Disruptor Zone 2017“, ein Preis der Konferenzveranstalter, geht an Johan Tilstra, Gründer der Lean Library. Tilstra hat eine Browsererweiterung programmiert, die jedem Endnutzer einer bestimmten IP-Adresse automatisch beim Browsen im Web anzeigt, wann immer er zufällig auf eine lizenzierte Ressource (E-Journal, E-Book, Datenbank oder Ähnliches) der eigenen Institutionsbibliothek stößt. Diese Erweiterung wurde auf der Basis von Nutzerumfragen an der Unversitätsbibliothek Utrecht entwickelt.
Bibliotheken wissen schon lange, dass Nutzer quer über die „Google-Wiese“ die Services erreichen und oftmals nicht über die gängigen Bibliotheksportale oder Kataloge recherchieren. Diese Browsererweiterung schließt eine Lücke für den Nutzer und hilft den Bibliotheken, auf ihre digitalen Ressourcen aufmerksam zu machen und digitale Hürden abzubauen. Diese Lösung könnte auch für Unternehmen interessant werden, in denen kleine Abteilungen viele Mitarbeiter an verschiedenen Standorten mit lizenzierten digitalen Publikationen versorgen, aber vom Nutzer hören, das PDF eines Artikels in Google gefunden zu haben. Welcher Unternehmensbibliothekar kennt dieses frustrierende Gefühl nicht? Schön, dass es eine schlanke Lösung für dieses Problem gibt. Man wird sicher noch von der Lean Library hören. Mehrere größere Universitätsbibliotheken in den USA haben ein erstes Interesse bekundet (siehe https://www.leanlibrary.com/).
________________________________________________________________________
Information und Wahrhaftigkeit.
________________________________________________________________________
Natürlich ließ sich auf der LII ein großes gesellschaftspolitisches Thema wie „Fake News“ nicht ignorieren, das nicht nur wegen Donald Trump, aber gerade durch ihn eine besondere Bedeutung bekommen hat. So wurde „Fake News“ zum Anglizismus des Jahres gewählt. Die Falschmeldungen dringen vor allem über die Sozialen Netzwerke in sehr großem Tempo und mit einem großen Verbreitungspotenzial in alle Lebensbereiche vor. Vor diesen Fakes sind selbst seriösere Plattformen wie LinkedIn nicht gefeit. Dabei zeigt sich, dass viele Menschen die Wahrheit von Informationen gar nicht besonders hochschätzen. Vielmehr haben sie ihren Spaß an Halbwahrheiten, Kuriositäten, substanzlosen Gerüchten und irreführenden Meldungen. Ein Panel widmete sich deshalb der Fragestellung, wie insbesondere Content Provider damit umgehen. Auch die Wissenschaftskommunikation sei bedroht und man dürfe sich fragen, ob die Selbstregulierung ausreichen wird, der Flut der Desinformationen zu widerstehen, so Fiona Bradley (Research Libraries, UK).
Ergänzt wurden ihre Statements durch eine Stimme aus dem Content Marketing: Paul Evans (Substantive Media) bedauert, dass man Werbung kaum mehr von Informationen unterscheiden kann. Viele Nutzer fragten nicht nach dem Informationsgehalt einer Mitteilung noch nach ihrer Quelle. Arthur Weiss (AWARE) erörtert das Problem, Propaganda von Parodie, Satire und Beeinflussung zu unterscheiden. Hilfreich sei es, sich den Kontext einer Meldung zu vergegenwärtigen und zu fragen: Wer hat ein Interesse, diese Nachricht zu verbreiten? Ist das, was ich lese, überhaupt plausibel? Viele, die sich diese Fragen nicht stellten, fielen aus Bequemlichkeit auf die Fakes herein. Dabei wüssten die Leser genau, dass sie bei kostenlosen und in Werbung eingebetteten Informationen nicht immer mit Qualität zu rechnen haben. Immerhin sei bei der Werbung das dahinterstehende Interesse für jeden klar erkennbar. Das Panel war sich einig: Contentproduzenten und -provider stehen noch am ehesten für Qualität und Verlässlichkeit.
Bibliotheken bürgen mit ihren Standards bei der Medienauswahl ebenfalls für Vertrauenswürdigkeit. Sie sollten als Gegenpol zu „Fake News“ stärker mit dem besonderen Wert ihrer Inhalte werben. Es wurde ein IFLA-Poster mit Tipps zur Identifizierung von „Fake News“ vorgestellt (siehe IFLA-Poster How to spot fake news https://www.ifla.org/publications/node/11174). Bibliotheken spielen eine wichtige gesellschaftspolitische Rolle und sind „ein Garant der Demokratie“. In den Bereichen Quellenkunde und -wertschätzung verfügen sie über eine lange Tradition. Das sind alles gute Argumente, die im Bibliotheksmarketing verwendet werden sollten, so Fiona Bradley. Die politische Forderung nach mehr Informationskompetenz bedeute im Angesicht von „Fake News“ eine Steilvorlage an die Bibliotheken, den kritischen Umgang mit Quellen zu trainieren. Aber natürlich müssten auch die Bibliotheken ihre überkommenen Rollenbilder kritisch hinterfragen.
________________________________________________________________________
Den Trends auf der Spur.
________________________________________________________________________
Die Digitalisierung verändert vieles, wenn nicht alles. Hatte man schon 1995 mit dem Aufkommen des WWW das Gefühl, an der Schwelle zu etwas völlig Neuem zu stehen, so wird heute deutlich, dass wir vor einer neuen Umwälzung stehen und versuchen müssen, die neuen Entwicklungen mit veränderten Strategien und Best Practices in den Griff zu bekommen. Erzeuger, Provider, Information Professionals und Nutzer digitaler Informationen sollten enger zusammenarbeiten und gemeinsame Lösungen für die verschiedenen Informationsbedarfe suchen. Ob es hier bei Einzellösungen bleibt oder die Branche neue Standards findet, bleibt zu beobachten. Daten wollen angesichts der vielen Analyseoptionen institutionelle Grenzen überschreiten. Noch versucht jeder, sein Geschäftsmodell oder seine Tradition zu wahren, und sich zaghaft neuen Optionen zu öffnen. Man steckt mitten im Umbruch und vieles wird ausprobiert.
Die Stärke der Konferenz war es, nicht so zu tun, als hätten bereits alle die Ideallösung gefunden. Die momentanen Trends und Projekte der Player der Szene wurden umfassend zur Diskussion gestellt und dabei die Ungewissheit, die während solcher Veränderungsprozesse auftritt, nicht verschwiegen. Wie David Smith es im Schlusswort seines Vortrages treffend ausdrückte, sind wir immer noch auf dem Weg in die Zukunft. Möglicherweise besteht die Herausforderung des derzeitigen Wandels darin, dass viele sich das Verschwinden ihrer derzeit verwendeten Lösungen oder Standards noch nicht vorstellen können. Man sollte an die Erfindung der Elektrizität zurückdenken, um für die bevorstehenden Umbrüche gewappnet zu sein. Vielleicht sollte man den Gedanken an das Ankommen beiseitelassen und sich der Reise widmen.
Kritik an der Konferenz ergibt sich nicht an den Inhalten, eher am Organisatorischen. Es gab zu viele Vorträge, die sich teils inhaltlich überschnitten, und zu wenig Pausenzeit zwischendurch zum Netzwerken. Sollten die Veranstalter ihrem Konzept treu bleiben, das Interdisziplinäre als Trend weiter zu verfolgen, darf man auf die kommenden Konferenzen gespannt sein. Wer daran Interesse hat, ist auf der LII gut aufgehoben. Ein Veranstaltungstermin für den Nachfolger der einstigen London Online steht für das nächste Jahr jedenfalls schon fest: der 4. und 5. Dezember 2018.
Programm der Tagung: http://info-international.com/
Interview mit Clive Snell auf dem Jinfo Blog: https://web.jinfo.com/go/blog/print/74082
The rise and rise of altmetrics, Reserach Information 21. November 2017, https://www.researchinformation.info/feature/rise-and-rise-altmetrics
Elgin Helen Jakisch, U&B Interim-Services, Berlin, jakisch@ub-interim.de
Anzeige
FAQ + Hilfe