Open Password: Mittwoch, den 11.Oktober 2016
Pushdienst 2016#115
Gesundheitsmarkt – Elektronische Gesundheitskarte – Walter Claassen – Oliver Fiechter – Philipp Löpfe – NZZ Libro – Stephan Holländer – Marktgesellschaft –
Tauschgesellschaft – DINI – Open-Access-Tage – Open-Access-Standards
Briefe
Erfahrungen mit der Gesundheitskarte
dämpfen Euphorie auf dem Gesundheitsmarkt
Liebe Redaktion,
es hat mich verblüfft, dass der Text von Roland Berger zur Digitalisierung im Gesundheitsmarkt „kommentarlos“ veröffentlicht wurde. Nicht dass ich gegen eine vernünftige Digitalisierung im Gesundheitsmarkt wäre, aber die jahrelangen Probleme bei der (unvollendeten) Einführung der Elektronischen Gesundheitskarte zeigen – so finde ich – deutlich, dass auch sinnvolle Neuerungen auf diesem „Markt“ nur mühsam einzuführen und durchzusetzen sind.
Freundliche Grüße Walter Claassen, Claassen Info Data, Darmstadt
Chancen der Digitalisierung ergreifen (3)
Wir können von der Konkurrenz
zur Zusammenarbeit zurückkehren
Die technische Entwicklung ermöglicht
eine Wiedergeburt der Tauschgesellschaft
auf höherem Niveau
Von Stephan Holländer
Oliver Fiechter, Philipp Löpfe, Aufstieg der digitalen Stammesgesellschaft – Die neue grosse Transformation, Zürich 2016 – ISBN 978-3-03810-190-1 (Buch) – ISBN 978-3-03810-219-9 (eBook)
«Aufstieg der digitalen Stammesgesellschaft», so heisst der Titel des neuen Buches von Oliver Fiechter und Philipp Löpfe, das im renommierten Verlag NZZ Libro der Neuen Zürcher Zeitung erschienen ist. Darin denken sich die beiden Autoren eine bessere Zukunft in einem System aus, das nicht den Egoismus, sondern den Altruismus der Menschen fördert.
Wenn die Medien und ihre Technologien sich verändern, ändern sich die Gesellschaft und die Art und Weise, wie wir unsere Bedürfnisse befriedigen, so die These der beiden Autoren. Frühere Stammesgesellschaften tauschten die Güter untereinander. Später häufte die auf Effizienz getrimmte Industriegesellschaft materiellen Überfluss an. In der Zeitspanne von den fünfziger bis in die achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts hatte die Gesellschaft einer breiten Masse materielle Sicherheit beschert – aber gleichzeitig durch starke Vermögenskonzentration eine gefährliche Ungleichheit geschaffen. Die Vernetzung der Welt durch das Internet beschleunigt diese Entwicklung. Die heutige Netzwerkgesellschaft muss sich der Aufgabe stellen, den Überfluss gerechter zu verteilen. Die beiden Verfasser verbinden die aktuelle digitale Transformation mit ethnologischen und wirtschaftlichen Aspekten. Ihre originelle These lautet: Die Digitalisierung bietet uns die Chance, dank unseren technischen Möglichkeiten eine Tauschgesellschaft auf sehr viel höherem Niveau wieder einzuführen.
Freelancer als Proletarier von morgen?
Ein wichtiger Aspekt ihrer Analyse ist die sich entwickelnde Nische der Freelancer in der Erwerbsgesellschaft. Der Freelancer – auch als Kleinstunternehmer, Freischaffender oder Solo-Selbständiger bekannt – passt nur schlecht in die existierenden Kategorien und Begriffe der herkömmlichen Berufs- und Arbeitsmarktstatistiken. Sein Aufstieg lässt sich indessen in vielen europäischen Ländern bis in die Mitte der siebziger Jahre am Rückgang der beruflichen «Normalarbeit» zurückverfolgen. Auch die wachsende Zahl an Leihfirmen, Outsourcing-Providern, kreativen Produktionen und selbstständigen Auftragsverhältnissen auf Serviceplattformen im World Wide Web spiegelt die steigende gesamtwirtschaftliche Bedeutung dieser Erwerbsform wider. 2007 wurden vom Schweizerischen Bundesamt für Statistik 6,5 Prozent aller Erwerbstätigen als Selbständige gezählt, die «auf eigene Rechnung und ohne Mitarbeitende» tätig sind – was nur als Näherungswert für den Anteil der Freelancer in der Schweiz gelten kann. Wie viele sogenannte «Scheinselbständige» sich darunter befinden, wird nicht ausgewiesen.
Eine neue Schicht von Arbeitnehmern entsteht
In der Schweiz arbeiten nach einer Studie von Deloitte[1] rund 25 Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter als Freelancer. Fast jeder dritte Nicht-Freelancer plant, sich in den nächsten zwölf Monaten als solcher zu betätigen. In den USA gehen derzeit 53 Millionen Menschen haupt- oder nebenberuflich projektbasierten, temporären oder zusätzlichen Tätigkeiten nach. Bis 2020 soll jeder zweite Erwerbstätiger ein Freelancer sein. In Deutschland liegt der Anteil der Freelancer bei 15 Prozent.
Hier liegt das Risiko eines entstehenden „Klick-Prekariats“, da sich in einkommensschwächeren Ländern oder in Ländern, zwischen denen ein großes Wechselkursgefälle besteht, immer Freelancer finden werden, die bereit sind, einander zu unterbieten. Arbeitsschutzgesetzgebung und soziale Absicherung vermögen hier wenig auszurichten, da das Internet weder Grenzen noch Tarifverträge kennt.
Der Mittelstand im Abschwung
Zurecht weisen die beiden Autoren auf die Schattenseiten neoliberaler Systeme hin. Nach Jakob Augstein, seit 2013 Chefredakteur der deutschen Wochenzeitung «Der Freitag», beansprucht der Neoliberalismus den ganzen Menschen. Denn wer im Neoliberalismus versage, versage total. Was bliebe dann noch von der Verheißung der entfesselten Internet-Ökonomie durch technologischen Fortschritt, wenn das einzige Versprechen, das auf materiellen Wohlstand, nicht in Erfüllung gehe?
Den Ökonomen mangelt es an technischem Verständnis.
Das Durchschnittsalter führender Ökonomen wie Paul Shiller, Paul Krugman und Joseph E. Stiglitz liegt aktuell jenseits der Fünfzig. Wenn diese Ökonomen Mühe mit der Konfiguration ihres Smartphones haben und das Internet in ihren Arbeiten allenfalls als Randerscheinung vorkommt, ist das nur ein kleines Abbild der Überforderung eines Großteils der Bevölkerung. Mit dem Franzosen Thomas Piketty erscheint eine neue Generation von Ökonomen, die sich mit den Fragen der Gesellschaft, die uns heute bedrängen, auseinandersetzt:
- Was bedeutet der digitale Wandel für unsere Gesellschaft?
- Wie gehen wir mit Künstlicher Intelligenz um?
- Welchen Einfluss hat die fortschreitende Automatisierung auf den Werkplatz?
- Was bedeutet es für den Nationalstaat, wenn private Unternehmen immer größere Macht über einen immer größeren Teil der Menschen ausüben?
- Geht das Einkommen und das Vermögen des Mittelstandes zurück, da es nur wenigen gelingen wird, mit neuen Geschäftsmodellen die durch den digitalen Wandel entstehenden Gewinne bei sich selbst zu akkumulieren?
Gerade die wirtschaftlichen Folgen der Digitalisierung der Wirtschaft wie beispielsweise die Einkommens- und Vermögensumverteilung ist aktuell in der Bevölkerung von großer Brisanz. Nicht umsonst hat Pikettys Buch «Le Capital au XXIe siècle» bei seinem Erscheinen 2014 grösste Aufmerksamkeit weit über sein Heimatland Frankreich hinaus gefunden [2].
[1] (http://www2.deloitte.com/ch/de/pages/consumer-business/articles/workplace-of-the-future.html )
[2] Le Seuil, Paris, ISBN 978-2-02-108228-9, in deutscher Sprache erschienen unter dem Titel: Das Kapital im 21. Jahrhundert (übersetzt von Ilse Utz und Stefan Lorenzer), Beck, München 2014, ISBN 978-3-406-67131-9.
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Dem Nachtwächterstaat verpflichtet?
Die Schweizer Politik reagiert auf diese Herausforderungen so, wie sie meistens auf solche Fragen reagiert: mit der Einsetzung einer Arbeitsgruppe[1] und der Erarbeitung eines Berichts sowie einer Vernehmlassung durch die grösseren organisierten Interessenvertreter der Zivilgesellschaft. Im Frühling erschien die in «Password» vor kurzem bereits besprochene «Strategie des Bundesrats für eine digitale Schweiz»[2].
In der digitalen Strategie des Schweizer Bundesrats sind Gemeinplätze wie folgende zu lesen: «Für den Erfolg der Schweiz im digitalen Raum ist zentral, dass alle Stakeholder eng zusammenarbeiten.». Oder: «Mit der Strategie will der Bundesrat dazu beitragen, dass unser Land mehr von der zunehmenden Digitalisierung profitiert und sich als innovative Volkswirtschaft noch dynamischer entwickelt.».
Doch was genau der Bundesrat da konkret will und tut, erschliesst sich dem Bürger nicht. Es beschleicht ihn das Gefühl, dass hier neue Herausforderungen mit alten Mitteln gelöst werden sollen. Leider sind die Ökonomen klassischen Zuschnitts in ihrer Analyse reichlich vage und die Politiker aus Überforderung beratungsresistent, wenn es um Netzpolitik geht[3]. Es ist sogar mehr als Überforderung. Die Unfähigkeit, auch nur einigermaßen auf der Höhe der technischen Entwicklung zu bleiben, führt bei ihnen wie auch bei uns zu einem immer geringer werdenden Verständnis über eine sich rapide verändernde Welt.
Seit 2008 die Bankenkrise ausbrach und Lehman Brothers unterging, hat die Wirtschaft nicht mehr aus der Krise gefunden. Viele Ansätze, die uns von der Technologieelite aus dem Silicon Valley gepredigt werden, wie die Kryptowährung Bitcoin oder die Share Economy, sind auch mit beachtlichen Nachteilen verbunden. Es sei nur an die Geschäftsmodelle von Airbnb und Uber erinnert. Neue Entwicklungen wie Blockchain haben das Potenzial, die Finanzbranche genauso auf den Kopf zu stellen, wie das bereits mit der Musik- und Reisebranche geschehen ist. Es profitiert eine kleine Elite, eine Technologie-Oligarchie, die mit dem Motto: «The winner takes all» zu ihren Erfolgen kommt.
Auf zur digitalen Tauschgesellschaft!
Dem stellen die beiden Autoren Philipp Löpfe und Oliver Fiechter ihre kühne Vision entgegen: eine neue Wirtschaftsordnung, die auf Tausch beruht, eine Welt, in der die Menschen nicht miteinander konkurrenzieren, sondern kooperieren. Löpfe und Fiechter sind keine Untergangspropheten, im Gegenteil. Sie sehen im technologischen Fortschritt jenes fehlende Element, das uns miteinander versöhnen könnte. Die digitale Technik werde eine Wirtschaft ermöglichen, die auf Tausch beruhe und den zerstörerischen Zwang zum Wachstum überwinde. Allerdings dauere das. Und es gehe darum, die Menschen von entfremdeter Arbeit zu befreien und ihnen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Das heißt nicht, dass jeder Künstler oder Wissenschaftler werden muss. Es bedeutet aber, dass die Menschen Zeit und Muße haben, das zu tun, was ihnen sinnvoll erscheint. Entscheidend ist, so die Autoren, dass sie ohne Zwang über ihre Zeit verfügen können. Es ist anzunehmen, dass das Leben auch in einer digitalen Stammesgesellschaft für genügend menschliches Leid sorgen wird. Die Menschen werden aber in der Lage sein, mit diesem Leid nicht hysterisch, sondern vernünftig umzugehen. Und sie werden in der Lage sein, mit existenziellen Gefahren wie der Klimaerwärmung rational umzugehen, so Fiechter und Löpfe. Wenn nicht, dann könnte es tatsächlich zu einem weiteren von Menschenhand verursachten Massensterben kommen.
Für wen lohnt sich die Lektüre des Buches?
Wer sich mit einer Momentaufnahme unter dem Stichwort „Industrialisierung 4.0“ über den begonnenen Umbruch der Wirtschaft und ihre disruptiven Technologien sowie deren gesellschaftlichen Folgen informieren will, liest dieses Buch mit Gewinn, da von den Autoren wenig ökonomische Kenntnisse vorausgesetzt werden und das Buch in einem leichtfasslichen Stil geschrieben ist.
[1]https://www.seco.admin.ch/seco/de/home/Publikationen_Dienstleistungen/Publikationen_und_Formulare/Standortforderung/studien/Evaluation-der-Beobachtung-der-digitalen-Wirtschaft-durch-den-Bund.html
[2] https://www.bakom.admin.ch/bakom/de/home/digital-und-internet/strategie-digitale-schweiz/strategie.html
[3] https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20163297
Open-Access-Tage
Zertifikat für Open-Access-Repositorien
und -Publikationsdienste veröffentlicht
Zu den diesjährigen Open-Access-Tagen 2016 hat die Deutsche Initiative für Netzwerkinformation e. V. (DINI) das DINI-Zertifikat für Open-Access-Repositorien und -Publikationsdienste 2016 veröffentlicht.
Das DINI-Zertifikat 2016 ist die fünfte Auflage des seit 2003 herausgegebenen Kriterienkatalogs zur Standardisierung der Publikationsinfrastruktur für das elektronische Publizieren und der Förderung von Open-Access-basierten Publikationsformen im wissenschaftlichen Umfeld.
Das DINI-Zertifikat wird von der DINI-Arbeitsgruppe „Elektronisches Publizieren“ verantwortet. Es vermittelt Maßstäbe, Best Practices und Richtlinien des digitalen wissenschaftlichen Publizierens. Der jetzt veröffentlichte Kriterienkatalog gliedert sich in acht Bereiche – Sichtbarkeit des Gesamtangebots, Leitlinien, Unterstützung für Publizierende und Herausgebende, rechtliche Aspekte, Informationssicherheit, Erschließung und Schnittstellen, Zugriffsstatistik sowie Langzeitarchivierung – und wird durch einen Anhang zur Ausgestaltung der international etablierten Schnittstelle „OAI Protocol for Metadata Harvesting (OAI-PMH)“ ergänzt.
Gegenüber der Vorgängerversion aus 2013 fand vor allem eine Konsolidierung der Mindestanforderungen und Empfehlungen statt. Aktualisiert wurden die Anforderungen an die rechtlichen Aspekte. Die Unterschiede zwischen so genannten Erst- und Zweitveröffentlichungen werden deutlicher herausgestellt. Außerdem wurden für die Einbindung des Identifikationssystems für wissenschaftliche Autoren ORCID (Open Researcher and Contributer ID) zusätzliche Empfehlungen aufgenommen. Im Bereich «Unterstützung von Open Access» wurden zwei bisher als Empfehlungen geführte Kriterien in den Rang einer Mindestanforderung gehoben: die Möglichkeit für Urheberinnen und Urheber, für eigene Publikationen Creative-Commons-Lizenzen auswählen zu können – die transparente Darstellung derjenigen Publikationen, die tatsächlich im Sinne von Open Access verfügbar sind.
Das Zertifikat kann durch die Betreiber von Repositorien und Publikationsdiensten via Online-Fragebogen beantragt werden. Daran schließt sich ein Begutachtungsprozess an, in dem zwei von DINI benannte Gutachter überprüfen, ob die Mindestanforderungen des Zertifikates erfüllt sind. Wie in der vorherigen Version unterstützt das DINI-Zertifikat 2016 die Option „DINI-ready“, mit der sich Hosting-Anbieter für Repositorien – beispielsweise Bibliotheksverbünde – die Erfüllung von Teilen der Anforderungsliste bestätigten lassen können. Für Dienste, die bei Hosting-Anbietern realisiert sind, die gemäß „DINI-ready“ evaluiert wurden, sind Beantragung und Begutachtung deutlich vereinfacht.
Seit der Veröffentlichung der ersten Version fanden für das DINI-Zertifikat mehr als 80 Zertifizierungsverfahren an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen statt. Derzeit verfügen mehr als 50 Repositorien und Publikationsdienste über ein gültiges DINI-Zertifikat.
Die Deutsche Initiative für Netzwerkinformation (DINI) e. V. ist der überregionale Zusammenschluss von wissenschaftlichen Bibliotheken, Medienzentren, Rechenzentren und Fachgesellschaften in Forschung und Lehre in Deutschland. DINI ist Partner von Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen bei der Weiterentwicklung der Informationsinfrastrukturen. http://www.dini.de
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