Open Password – Donnerstag, den 6. Juni 2017
#208
UrhWissG – Urheberrecht – Rudi Schmiede – Stephan Lessenich – Deutsche Gesellschaft für Soziologie – FAZ – Hubert Spiegel – Roland Reuß – Volker Riehle – Verlage – Großverlage – Börsenverein – Autoren – Wissenschaftliches Publizieren – Matthias Ulmer – DFG – Open Access
UrhWissG
Der Kampf um das Urheberrecht
und die Interessen der Wissenschaftler [1])
Die Vereinnahmung der Urheberschaft der Autoren durch die Verlage ist die usurpatorische Standard-Praxis
Von Rudi Schmiede
In unterschiedlichen Zusammenhängen und auf verschiedenen Listen läuft seit Längerem eine intensive Debatte über Fragen des Urheberrechts und dessen Auswirkungen in Forschung, Lehre und Studium und insbesondere den dazu vorliegenden Referentenentwurf des Justizministeriums (siehe: http://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/UrhWissG.html). Leider haben sich dazu bislang überwiegend Bibliothekare und Informationsspezialisten sowie offizielle Hochschulsprecher geäußert, weniger die unmittelbar betroffenen Wissenschaftler, Hochschullehrer und Studierenden.
Umso interessanter ist es, sich Stellungnahmen von Wissenschaftlern kritisch anzuschauen. Vermutlich von den meisten FachkollegInnen unbemerkt, hat aus meinem Fach der bisherige Vorsitzende der Deutsche Gesellschaft für Soziologie, Stephan Lessenich, als (eigentümlich subjektiv formulierte und auf der Webpage der DGS nicht auffindbare, gleichwohl vom BMJV so bewertete) Stellungnahme der DGS ablehnend Stellung zu dem Referentenentwurf bezogen (siehe: http://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Stellungnahmen/2017/Downloads/02102017_Stellungnahme_LMU_RefE_UrhWissG.pdf;jsessionid=7BEB7437EAF6DD0298E06D3BE02B89DB.2_cid297?__blob=publicationFile&v=2). Er argumentiert dabei eher kurz formuliert in dieselbe Richtung, die einer seiner LMU-Hochschulkollegen (zusammen mit einem Kollegen aus Heidelberg) kürzlich genauer und polemischer ausgeführt hat. Ich setze mich im Folgenden (die wesentlichen Textteile wurden schon auf inetbib veröffentlicht) mit deren Stellungnahme auseinander.
[1] Um das mühsame Abtippen der digitalen Verweise zu vermeiden, habe ich diesen Text im Manuskript auch öffentlich zugänglich unter meinem Namen auf Academia.edu eingestellt: https://www.academia.edu/s/d75bb87494/der-kampf-um-das-urheberrecht-und-die-interessen-der-wissenschaftler-1
Am 29. April wurde im Feuilleton der FAZ ein Artikel zweier Wissenschaftler unter dem reißerischen Titel „Die Digitalisierung frisst unsere Rechte. Ansprüche von Autoren scheren die Bundesregierung offenbar nicht. Das zeigt die Novelle zum Wissenschaftsurheberrecht. Sie opfert die publizistische Freiheit“ veröffentlicht (digital unter: http://m.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/urheberrecht/reuss-und-rieble-zur-novelle-zum-wissenschaftsurheberrecht-14992353.amp.html ). Die beiden Autoren sind im FAZ-Feuilleton erprobte Kämpfer für eine konservative Publikationspolitik – leider unterstützt von dem FAZ-Feuilleton-Redakteur Hubert Spiegel – und spielen dadurch, ohne dass das je thematisiert würde, den Verlagsinteressen in die Hand. Der eine – Roland Reuß – ist Germanist und Editionsspezialist an der Universität Heidelberg und hat sich vor allem als Kämpfer für das individuelle Publikationsrecht bekannt gemacht, indem er Open Access als „Eine Kriegserklärung an das Buch“ (FAZ vom 13. Oktober 2015) diffamiert und sich dadurch faktisch zum Fürsprecher der Verlage macht (siehe etwa sein Interview im Börsenblatt: https://www.boersenblatt.net/artikel-interview_mit_roland_reuss_zu_open_access.1163366.html). Der andere – Volker Rieble – lehrt als konservativer Arbeitsrechtler an der LMU München und hat sich politisch durch ausgeprägte anti-gewerkschaftliche Positionen und die Unterstützung von Thilo Sarrazin verortet. Beiden gemeinsam ist eine Furcht vor der Digitalisierung wissenschaftlicher Texte (sie gehören zu den Initiatoren des Heidelberger Appells (s. https://de.wikipedia.org/wiki/Heidelberger_Appell), die sich manchmal – nicht unberechtigt – gegen Google richtet, als Hauptziel aber die digitale Zugänglichkeit und Verbreitung von wissenschaftlichen Texten überhaupt kritisiert, wobei sie Digitalisierung, Open Access und Googleisierung immer wieder ineinssetzen. Das Ganze wird noch unterfüttert durch eine – im Einzelfall sicherlich nicht haltlose – insgesamt aber an Verschwörungstheorien grenzende Kritik an der Deutschen Forschungsmeinschaft DFG (vgl. etwa http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/forschung-und-lehre/kritik-an-der-dfg-die-freie-wissenschaft-ist-bedroht-11497511.html).
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Die Standardpraxis der Verlagsverträge ist die rechtliche Enteignung der Urheber.
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Die kämpferischen, gleichwohl in der Wissenschaftswelt randständigen Einlassungen der beiden streitbaren Professoren unterstützen – aus im Einzelnen undurchsichtigen und heterogenen Motiven – die grundsätzliche Position der Verlage, die darauf beruht, sich selbst als die zentralen Wahrnehmenden und Verteidiger des Urheberrechts der Autoren darzustellen. Dies ist der tragende Gedanke in der jüngsten Stellungnahme zum Referentenentwurf (siehe https://www.boersenblatt.net/artikel-regierungsentwurf_zum_urheberrechts-wissenschaftsgesellschafts-gesetz.1312081.html). Die Verlage spielen sich hier (in der Gestalt des Börsenvereins) so auf, als wären sie die eigentlichen Verteidiger des Urheberrechts. Tatsächlich ist die Standardpraxis in Verlagsverträgen die der rechtlichen Enteignung der Urheber durch die Verlage. Ich muss in diesen Verträgen als Autor nicht der Übertragung des Urheberrechts – das ist nicht veräußerbar -, aber der Übergabe aller Verwertungsmöglichkeiten aus diesem Urheberrecht an den Verlag zustimmen, sonst kommt der Vertrag nicht zustande. Die Verlage vertreten mithin mit ihrer Verteidigung der bisherigen Regelungen im Kern eigene Verwertungsinteressen, nicht die der Urheber. Sich als deren Interessenvertreter aufzuspielen, ist interessengeleitete Heuchelei.
Dies gilt auch bei ökonomischer Betrachtung. Sicherlich 90-95% der wissenschaftlichen Autoren haben keinerlei Einnahmen aus ihren Publikationen. Ich selbst habe – trotz für Fachtexte vergleichsweise hoher Auflagen von 500 – 2.000 Exemplaren – nie einen Cent an Honoraren erhalten. Die vorherrschende Praxis ist umgekehrt die der Zahlung substantieller Druckkostenzuschüsse als Vertragsbedingung. Ein leitender Mitarbeiter in einem der großen Wissenschaftsverlage erklärte mir vor Jahren vertraulich, dass die Standardkalkulation bei wissenschaftlichen Publikationen so gestaltet sei, dass durch die Druckkostenzuschüsse die Produktionskosten finanziert würden und dann die Einnahmen aus der verkauften Auflage den Verlagsgewinn darstellten. Alle Erfahrungen, die ich selbst und aus dem Kollegenkreis im Laufe der Jahrzehnte gelernt habe, bestätigen diese Aussage. Ich kann von daher keinerlei Interesse der Masse der Wissenschaftler an der mit Zugangssperren bewaffneten Verhinderung des freien Zugangs zu wissenschaftlichen Quellen erkennen.
Ich habe nichts dagegen, dass besonders erfolgreiche Kollegen, die manchmal sogar zu Bestseller-Autoren arrivieren, aus ihren Publikationen zusätzliches Einkommen beziehen; insofern ist es folgerichtig, dass etwa Jürgen Habermas den vom Börsenverein initiierten Appell gegen die im Referentenentwurf vorgeschlagenen Neuregelungen unterschrieben hat. Man sollte aber diese Interessenlage nicht mit der der Wissenschaften insgesamt und der Masse der Autoren verwechseln. Es handelt sich hier um eine verschwindend kleine Minderheit von Autoren, während die große Masse de facto in Vertragsverhältnisse der Finanzierung und Subventionierung der großen – oder im Falle meines Faches – der kleinen und mittelständischen Wissenschaftsverlage eingebunden ist.
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Die Mehrheit der Wissenschaftler ergibt sich dem scheinbar unausweichlichen Druck, den die Großverlage ausüben und viele Kleinverlage übernehmen.
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Die vom Börsenverein und von Herrn Ulmer als seinem Sprecher vertretene Position ist anmaßend. Die Vereinnahmung der Urheberschaft der Autoren ist usurpatorisch. Die Nutzung in ihren Positionen teils unklarer, teils abseitiger Argumente wie durch Reuß und Rieble stellt eine Herabwürdigung der überwältigenden Mehrheit der wissenschaftlich Tätigen dar. Es sollte auch nicht unerwähnt bleiben, dass sich die – in der Tat ökonomisch bedrängten – vielen kleinen und mittleren Verlage durch diese Position, wie sie von Herrn Ulmer im Namen des Börsenvereins vertreten wird, zum Büttel der eigentlichen Profiteure im Feld der wissenschaftlichen Publikation – also der Großverlage wie Elsevier, Wiley und Springer – machen. Ihnen gelingt es nach wie vor, mit ihren im internationalen Vergleich überragenden Profitraten die Publikationsszenerie ihren Interessen gemäß zu formen. Leider ergibt sich eine deutliche Mehrheit der publizierenden Wissenschaftler diesem scheinbar unausweichlichen Druck.
Um das klarzustellen: Es geht nicht darum, die produktiven Leistungen der Verlage und ihre herausgeberischen Dienste zu schmälern; sie müssen auch ökonomisch entgolten werden. Das kann aber nicht gegen, sondern nur mit Nutzung der neuen technologischen Möglichkeiten geschehen. In der Verlagspraxis haben wir derzeit ein breites Feld des Experimentierens in der Kombination von gedruckten und digitalen Publikationen – in unterschiedlichen Modellen der “Green” oder “Golden Ways” zusammengefasst. Positionen wie die von Reuß und Rieble sind dem gegenüber ignorant und dogmatisch festgelegt. Eine empirische, die praktizierte Realität in der Verlagswelt und in der Welt der mittlerweile in jedem Fach prägenden Realität der informellen Publikation ist deshalb überfällig; hier könnte sich die DFG wirklich Meriten verdienen. Aber die zentralen Wissenschaftsorganisationen sind im Regelfall nicht besser als die sie tragenden Wissenschaftler, und hier kann man sich leider der Erkenntnis nicht verschließen, dass die Fragen angemessener und der wissenschaftlichen Kooperation dienender Publikationsformen nach wie vor ein Stiefkind in der Aufmerksamkeit der führenden Wissenschaftsrepräsentanten und -organisatoren sind.
Ich selbst stelle meine Publikationen so weit und so rasch wie möglich per “Open Access” zur Verfügung und gehe dabei großzügig mit den privatrechtlichen Beschränkungen um. Aus jahrelanger Erfahrung kann ich nur betonen, dass die wissenschaftliche Kommunikation und die Verbreitung unter den Lernenden dadurch erheblich erleichtert und befruchtet wird. Warum also nicht durch eine die Grenzen austestende Veröffentlichungspraxis, die dem “Open Access” seinen berechtigten Stellenwert einräumt, der Realität der wissenschaftlichen Kommunikation Unterstützung erbringen? Dazu gehört selbstverständlich der offizielle politische Kampf um verbriefte Rechte (wie jetzt die Unterstützung und Verteidigung des Referentenentwurfs gegen die widerstreitenden ökonomischen Interessen und ihre Büttel), mindestens aber genauso das individuelle widerständige Handeln, um die bestehenden Restriktionen zu unterlaufen und damit die offene und für diese konstitutive Kommunikation in den Wissenschaften zu fördern.
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Prof. Dr. Rudi Schmiede lehrte Soziologie an der Technischen Universität Darmstadt.
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