Open Password – Montag, den 1. März 2021
# 893
Medienkritik – Peter Schmitt – Meiner Verlag – Postdigitales Verständnis – Interkulturelle Perspektiven – Informationskompetenz – Deutsch-indischer Vergleich – Patientenumfrage – Corona – Videosprechstunden – Datapol – Willi Bredemeier – Open Password – Pandemie – Ländliche Räume – Theresia Woltermann – Joachim Griesbaum – Sophie März – Lernraum für Studierende – DAAD – BMBF – Thomas P. Mackey – Trudi E. Jacobson – Informationsverhalten – Informationsvermeidung – Polarisierung – Soziale Medien – Bestätigungsfehler – Verzerrungen – Stereotypisierungen – Metaliteracy – Offene Lernumgebungen – Kollaborative Online-Umgebungen – Community of Trust – E-Learning – Bildungsinfrastruktur – Bildungseinrichtungen
Über den Tellerrand (20)
Medienkritik im 21. Jahrhundert:
Leser als permanent überwachten Programmanwender sehen
(Meiner Verlag) Peter Schmitt, Postdigital: Medienkritik im 21. Jahrhundert – Felix Meiner Verlag für Philosophie 2021, 16,90 €. Die völlige Computerisierung der Lebenswelt entwickelt eine geradezu mahlstromartige Dynamik. Massenhaft sind die Köpfe über die Bildschirme gesenkt und starren auf vereinheitlichten Geräten auf die überall gleichen Apps. Von informationeller Autonomie kann keine Rede sein, dafür umso mehr von der »Fear of missing out«. Peter Schmitt analysiert in seinem fulminanten Essay diese neue Normalität.
Die Gewalt dieses Umbruchs, der seit wenig mehr als zehn Jahren stattfindet, ist philosophisch noch kaum begriffen. Die Digitalisierung zerrt uns mit wachsender Dynamik in eine Existenzweise hinein, für oder gegen die wir uns nicht entscheiden können. Sprache unterliegt dem Siegeszug der binären Codierung, Musik, verfügbar wie Wasser und Gas, verliert real an Kontur und Substanz. Individualität als grundlegendes Selbstverhältnis des Menschen diffundiert im Netz und Freiheit ist in der digital verwalteten Welt bedrohter denn je. Was bedeutet es, wenn der Mensch zum permanent überwachten Programmanwender wird? Schmitt geht es weder um eine Verteufelung der uns umgebenden Technik noch um eine ängstliche Schutzhaltung. Sein Buch zielt auf ein angemessenes Verständnis des Digitalen und ein damit zusammenhängendes neues, »postdigitales« Selbstverständnis der Anwender. Der Autor plädiert für eine zeitgemäße Medienkritik, die den Blick für die Unwahrscheinlichkeit der Situation schärft, in die unsere Gesellschaft sich hineinmanövriert hat.
Lieber Password-Leser,
sollten Sie am Sonntag von Open Password ein unvollendetes Manuskript mit dem Arbeitstitel „Kilduff“ bekommen haben, so bitte ich Sie um Entschuldigung,. Mein technisches System hat aus meiner Sicht verrückt gespielt. Erst setzte es sich selbst mit einer Versendung in Bewegung, dann blockierte es alle anderen sich in der Pipeline befindenden künftigen Password-Online-Ausgaben und es ließen sich auch keine weiteren Ausgaben einrichten. Eine Mail unseres Providers am Montag lässt mich vermuten, dass auch unser Provider daran beteiligt sein könnte.
Mein Partner Michael Klems hat dann dafür gesorgt, dass alles wieder in gewohnten Bahnen verläuft .
Noch einmal tief durchatmen und dann zurück zu den Inhalten.
Herzlichst Ihr
Willi Bredemeier
“Intercultural Perspectives on Information Literacy”:
Ein deutsch-indischer Vergleich
Die Pandemie trifft die Armen, die Bildungswilligen
und die ländlichen Räume am Schlimmsten
Wie man Fake News und eigene Vorurteile überwindet
Von Prof. Dr. Joachim Griesbaum, Sophie März und Theresia Woltermann
Joachim Griesbaum
Die Online-Tagung im Rahmen des transnationalen Projektkurses “Intercultural perspectives on information literacy” wurde von Professor Dr. Joachim Griesbaum (Stiftung Universität Hildesheim, Institut für Informationswissenschaft), Dr. Tessy Thadathil (Symbiosis College of Arts and Commerce Pune, Indien), Sophie März (Stiftung Universität Hildesheim, Institut für Informationswissenschaft), Dr. Jini M. Jacob (Symbiosis College of Arts and Commerce Pune, Indien) und Theresia Woltermann (Stiftung Universität Hildesheim, Institut für Informationswissenschaft) organisiert. Der Einladung nach Hildesheim folgten rund 150 internationale Teilnehmende, unter anderem aus Indien, den USA, Niederlande, Südafrika, Bosnien und Herzegowina und Deutschland. Ziel der Tagung war es, die Ergebnisse des Projektkurses vorzustellen und einen Diskursraum für eine interkulturellen Perspektive der Informationskompetenz zu schaffen. Die zahlreichen Beiträge der teilnehmenden Studierenden und Angehörigen unterschiedlicher Fachrichtungen führten zu einem regen Diskurs.
Das Projekt “Intercultural perspectives on information literacy” (IPIL) zielt darauf ab, durch einen gemeinsamen Lernraum für Studierende aus mehreren Ländern die interkulturelle Kompetenz am Gegenstand der Informationskompetenz zu fördern. Die Förderung wird durch den DAAD mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im Rahmen der Ausschreibung “International Virtual Academic Collaboration” ermöglicht.
Im Rahmen des Projektkurses erarbeiteten die Teilnehmenden Vorträge zu folgenden Themen:
- Informationsverhalten in Corona-Zeiten
- Der Bestätigungsfehler (confirmation bias): „Was ich glaube, ist sicher wahr.“ Wie man kognitive Fehler korrigiert, um einen offenen Geist zu fördern.
- Auswirkungen der Pandemie auf den Bildungssektor
- Kultivierung von Informationskompetenz in ländlichen Umgebungen.
Die Vorträge wurden auf der Tagung von den Studierenden präsentiert und im Plenum diskutiert.
Ergänzend wurden mit Dr. Thomas P. Mackey und Trudi E. Jacobson renommierte ExpertInnen für eine Keynote zum Thema „Metaliteracy und offene Lernumgebungen“ gewonnen. Schließlich wurde ein Workshop zu kulturellen Aspekten von Informationskompetenz durchgeführt, in dem auch Möglichkeiten zur Weiterentwicklung des Projekts diskutiert wurden. Nachfolgend werden die einzelnen Sessions der Tagung vorgestellt.
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Studentische Session 1: Informationsverhalten in Corona-Zeiten
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Büsra Ürker, Ria Sewlani, Neha Kumar, Atharva Tidke und Daniela Hofmann (Symbiosis College of Arts and Commerce Pune und Universität Hildesheim) befassten sich mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Informationsverhalten. Die Bedeutung von glaubwürdigen Informationen als Gegenpol zu Fake News nahm signifikant zu. Eine kritische Betrachtung von Informationen sei insbesondere während der Krise essenziell. Dadurch gebe es auf Seiten der Rezipierenden größeres Interesse an staatlichen Informationsportalen, Nachrichtenkanälen, aber auch Sozialen Netzwerken wie Twitter. Gefühle der Angst und der Überforderung durch Informationsüberfluss seien ebenfalls gestiegen. Des Weiteren wurde eine Informationsvermeidung beobachtet. Diese resultiere aus einem Überangebot an Informationen mit einem Gefühl der Überforderung als Folge.
Die vorgestellte Forschung wurde durch eine Umfrage im Umfeld der Studierenden erweitert. Diese bestätigte die bereits genannten Annahmen und stellte lokale Aspekte aus Indien und Deutschland in den Fokus. In Deutschland kam es aus Sicht der Befragten zu einer gesellschaftlichen Spaltung durch die Pandemie. In Indien wurde die Berichterstattung rund um das Coronavirus als aufgebauscht wahrgenommen. Den Medien aus anderen Ländern wurde ein stärkere ethische Orientierung zugesprochen. Im Plenum wurden Fake News mit Corona-Zusammenhängen in sozialen Medien problematisiert. Das Plenum verlangte ein aktives Einschreiten der Plattformen und die Befähigung der NutzerInnen zum kritischen Hinterfragen.
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Studentische Session 2: „Was ich glaube, ist sicher wahr.“ Wie man kognitive Fehler korrigiert, um einen offenen Geist zu fördern.
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Isha Singh, Ishita Girme Saurav Bhardwaj, Shayantani Kundu, Alica Hoffmann und Rieka Giese (Symbiosis College of Arts and Commerce Pune und Universität Hildesheim) thematisierten in ihrem Vortrag das kognitive Phänomen des Bestätigungsfehlers (confirmation bias). Es wurde deutlich, wie viel Einfluss dieser unterbewusste Prozess auf das Informationsverhalten eines Individuums haben kann. Eine Schwierigkeit, den Bestätigungsfehler zu überwinden, bestehe auch dann, wenn man sich dessen bewusst sei. Die Neigung zu Bestätigungsfehlern sei unabhängig vom kulturellen und Bildungshintergrund bei jeder Person gegeben. Der Bestätigungsfehler äußere sich in Verzerrungen und Stereotypisierungen. Verzerrungen stören sowohl die Willens- als auch die Meinungsbildung. Hingegen können Unterbrechungen des eigenen Sprechflusses während der Informationsvermittlung zu einer analytischeren und tieferen Auseinandersetzung mit den Informationen führen. Ein weiteres Hilfsmittel zur Ausbildung kritischen Denkens und einer zumindest teilweisen Überwindung des Bestätigungsfehlers seien die Konfrontation mit Perspektiven, die nicht mit dem eigenen Meinungsbild übereinstimmen.
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Keynote: Metaliteracy und offene Lernumgebungen
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Dr. Thomas P. Mackey und Trudi E. Jacobson (State University of New York, USA) stellten in ihrem Vortrag das von ihnen entwickelte Konzept der Metaliteracy sowie dessen Umsetzung in offenen Lernumgebungen vor. Metaliteracy erweitere das Konzept der Informationskompetenz um eine kritische Evaluierung von Information sowie eine aktive Partizipation und das eigenständige Erhalten, Erstellen und Teilen von Information in kollaborativen Online-Umgebungen. Die Lernenden müssten als aktive Mitwirkende begriffen werden, deren Stärken und Potentiale zu ermutigen seien. Es sollten Aktivitäten entwickelt werden, die eine metakognitive Reflexion stärken. Eine maßgebliche Zielsetzung bei der Implementierung von Metaliteracy in Online-Lernumgebungen sei das Aufbauen einer Community of Trust, die über die eigentliche Lernumgebung hinausgeht. Metaliteracy müsse an unterschiedliche kulturelle Voraussetzungen angepasst werden.
Theresia Woltermann
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Studentische Session 2: „Was ich glaube, ist sicher wahr.“ Wie man kognitive Fehler korrigiert, um einen offenen Geist zu fördern.
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Isha Singh, Ishita Girme Saurav Bhardwaj, Shayantani Kundu, Alica Hoffmann und Rieka Giese (Symbiosis College of Arts and Commerce Pune und Universität Hildesheim) thematisierten in ihrem Vortrag das kognitive Phänomen des Bestätigungsfehlers (confirmation bias). Es wurde deutlich, wie viel Einfluss dieser unterbewusste Prozess auf das Informationsverhalten eines Individuums haben kann. Eine Schwierigkeit, den Bestätigungsfehler zu überwinden, bestehe auch dann, wenn man sich dessen bewusst sei. Die Neigung zu Bestätigungsfehlern sei unabhängig vom kulturellen und Bildungshintergrund bei jeder Person gegeben. Der Bestätigungsfehler äußere sich in Verzerrungen und Stereotypisierungen. Verzerrungen stören sowohl die Willens- als auch die Meinungsbildung. Hingegen können Unterbrechungen des eigenen Sprechflusses während der Informationsvermittlung zu einer analytischeren und tieferen Auseinandersetzung mit den Informationen führen. Ein weiteres Hilfsmittel zur Ausbildung kritischen Denkens und einer zumindest teilweisen Überwindung des Bestätigungsfehlers seien die Konfrontation mit Perspektiven, die nicht mit dem eigenen Meinungsbild übereinstimmen.
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Keynote: Metaliteracy und offene Lernumgebungen
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Dr. Thomas P. Mackey und Trudi E. Jacobson (State University of New York, USA) stellten in ihrem Vortrag das von ihnen entwickelte Konzept der Metaliteracy sowie dessen Umsetzung in offenen Lernumgebungen vor. Metaliteracy erweitere das Konzept der Informationskompetenz um eine kritische Evaluierung von Information sowie eine aktive Partizipation und das eigenständige Erhalten, Erstellen und Teilen von Information in kollaborativen Online-Umgebungen. Die Lernenden müssten als aktive Mitwirkende begriffen werden, deren Stärken und Potentiale zu ermutigen seien. Es sollten Aktivitäten entwickelt werden, die eine metakognitive Reflexion stärken. Eine maßgebliche Zielsetzung bei der Implementierung von Metaliteracy in Online-Lernumgebungen sei das Aufbauen einer Community of Trust, die über die eigentliche Lernumgebung hinausgeht. Metaliteracy müsse an unterschiedliche kulturelle Voraussetzungen angepasst werden.
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Studentische Session 3: Auswirkungen der Pandemie auf den Bildungssektor
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Marian Hansing, Simran Joshi, Halciyone Biju Mathew, Megha Kaushik, Trupti Senapati und Gülden Coskun (Symbiosis College of Arts and Commerce Pune und Universität Hildesheim) behandelten in ihrem Vortrag die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Bildungssektor. Unter den Herausforderungen, die das E-Learning bereithält, fallen auf Seiten der Lernenden das Fehlen einer stimulierenden Lernumgebung, höhere Zahlen von Schulabbrechenden sowie Probleme der psychischen Gesundheit. Die Lehrenden werden mit einer mangelnden Infrastruktur und asymmetrischen Kommunikationen konfrontiert. Ärmere und benachteiligte Bevölkerungsteile sind auch im Bildungsbereich stärker von der Corona-Pandemie betroffen. Zusätzliche Interviews in Indien und Deutschland bestätigten diese Thesen für beide Länder.
Sophie März
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Studentische Session 4: Förderung von Informationskompetenz im ländlichen Raum
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Tanisha Singh, Amiya Khadilkar, Srishti Jesingh, Selma Ćebić M. und Gideon O’Donnell (Symbiosis College of Arts and Commerce Pune und Universität Hildesheim) setzten sich mit der Förderung von Informationskompetenz im ländlichen Raum auseinander. Nach wie vor bestehe eine große Diskrepanz zwischen den Ressourcen zur Förderung von Informationskompetenz auf dem Land und in der Stadt. Dies gelte sowohl für Indien als auch für Deutschland. Obwohl in Indien mehr als die Hälfte der Menschen und in Deutschland etwas mehr als ein Drittel in ländlichen Regionen wohnen, besteht in beiden Ländern eine digitale Kluft. Diese Kluft wird vertieft durch Probleme älterer Generationen im Umgang mit Informationsflüssen sowie durch Armut bedrohte Familien, die den Anschluss an die Digitalisierung aufgrund mangelnder Ressourcen verpassen. Angesichts einer mangelhaften Infrastruktur setzen Bildungseinrichtungen im ländlichen Raum eher auf traditionelle Lehrmethoden, obwohl das computergestützte Lernen effizientere Lernprozesse anstoßen könnte.
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Workshop zu kulturellen Aspekten von Informationskompetenz
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Die sichtbar gewordenen unterschiedlichen Perspektiven auf Informationskompetenz wurden in einem Workshop zum Ende der Online-Tagung in Fokusgruppen noch einmal erörtert. Wiederum wurde deutlich, dass Informationskompetenz ein vielfältiges Konzept und Interkulturalität ein wesentlicher, nicht zu trennender Teil davon ist. Interkulturalität lasse sich nicht nur mit Hilfe nationalstaatlicher Grenzziehungen ermöglichen. Vielmehr könne das Konzept auch Zusammenhängen innerhalb heterogener Gesellschaften erhellen. Interkulturelle Informationskompetenz sei ein hilfreiches Instrument, um Informationen aus mehreren Perspektiven zu betrachten und einzuordnen. In Zukunft
sollen weitere internationale Partnerschaffen hinzukommen, um eine noch mehrdimensionalere Sicht auf interkulturelle Informationskompetenz zu ermöglichen.
Ein weiterer, mehrtägiger Workshop findet im Juli 2021 in Hildesheim statt. Weitere Informationen: https://ipil.blog.uni-hildesheim.de/ Alle Vorträge der Tagung stehen auf YouTube zur Verfügung: https://www.youtube.com/channel/UCWoQVglkajEOG4qVZHdTXcw
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