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Password-Nachrichten, -Analysen und Kommentare – Mittwoch, den 2. März 2016

Zeitungskrise – Zeitschriftenkrise – Independent – The New Day – Digitalisierung – Paid Content – Stephan Holländer

Zeitungs- und Zeitschriftenkrise

Die Zukunft ist digital,
aber was bedeutet das konkret?

Von Stephan Holländer

Zur Zeitungskrise gibt es nichts Neues, sagt die Branche. Im Angesicht sinkender Erlöse für Print müssen sich Medienhäuser in der digitalen Welt neu erfinden. Der Fokus sollte auf dem Publizieren im Internetzeitalter liegen. Jedoch wurde der Einfluss von Google auf die Zeitungsbranche bislang zu wenig beachtet.

Am Ende der vorletzten Woche erreichten uns von den britischen Inseln widersprüchliche Nachrichten. Evgeny Lebedev, der Eigentümer des „Independent“, ließ verkünden, dass die Zeitung ab 26. März nur mehr in digitaler Form erscheinen wird. Die letzte gedruckte Ausgabe des „Independent on Sunday“ wird am 20. März ausgeliefert[1]. Zuletzt hatte das Blatt 56.074 Exemplare verkauft. In seiner besten Zeit zu Beginn der neunziger Jahren hatte die Zeitung eine Auflage von 400.000 Exemplare gehabt. Das digitale Webangebot bleibt bestehen, da sie mit 70 Millionen Besuchern im 2015 und einem Wachstum von 33 % schwarze Zahlen schreiben.

Ist die Antwort auf Digital Print?

Die Briten wären nicht die Briten, wenn nicht sogleich eine Gegenreaktion aus der Branche zu vernehmen gewesen wäre. Erstmals seit 30 Jahren soll in Großbritannien eine neue Tageszeitung erscheinen. Wie die Mediengruppe Trinity Mirror am Montag mitteilte, wird „The New Day“ am ersten Erscheinungstag, dem nächsten Montag, an mehr als 40.000 Verkaufsstellen einmalig kostenlos zu haben sein.

Das jeweils von Montag bis Freitag erscheinende 40 Seiten umfassende Blatt kostet danach zwei Wochen lang 25 Pence (32 Cent), später 50 Pence (64 Cent). Die Zeitung soll völlig unabhängig vom „Daily Mirror“ sein, der ebenfalls von Trinity Mirror herausgegeben wird. Als Novum soll „The New Day“ keinen eigenen Internetauftritt haben, dafür aber in den Sozialen Medien präsent sein. Damit wird der wettbewerbsintensive Hauptstadtmarkt Großbritanniens aufgemischt.

Das Problem der Branche ist nicht die technische Entwicklung.

Nicht dass der bundesdeutsche Zeitungsmarkt nicht gleichfalls unter Auflageschwund und fallenden Anzeigeneinahmen zu leiden hätte. Diese Entwicklung hat erste Opfer gefordert. So verschwand die „Financial Times Deutschland“ vom Markt und die „Frankfurter Rundschau“ rettete sich unter das Dach der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Nimmt man das Wochenblatt „Die Zeit“, das soeben seinen 70. Geburtstag feierte, stellvertretend für die deutsche Zeitungsbranche, so steigerte „Die Zeit“ ihre Startauflage von 25.000 Ausgaben im Jahre 1946 auf eine Auflage von 500.000 Exemplaren in der ersten Hälfte der neunziger Jahre. Ab dann ging die Auflagenzahl zurück. Die treuen „Zeit“-Abonnenten sind der harte Kern der heute noch verkauften Auflage von 341.759 Exemplaren. Im freien Verkauf setzt „Die Zeit“ 87 917 Exemplare ab[1].

Große Hoffnungen richten sich auf die digitalen Ausgaben, begleitet von einem tiefen Rätselraten, wie die strategische Umstellung des Zeitungsmarktes bewerkstelligt werden soll. Noch kommt das Gros der Einnahmen von Print.

Die Presse auf Identitätssuche

Springer hat einige seiner Blätter an die Funke-Mediengruppe verkauft. In der Schweiz schmiedet Ringier Werbeallianzen mit dem öffentlichen Rundfunk und Fernsehen. Die AZ Medien brachte das für die Schweiz einzigartiges Watson Newsportal[2] auf den Markt. Medienkonvergenz scheint der jetzt dominante Trend zu sein. Welche Strategien und Konzepte stehen hinter diesen Entwicklungen?

  1. Journalisten und Verlage verlieren ihr Monopol als Experten für Nachrichten – werden sie dennoch gebraucht?

„All the news that’s fit to print“, heisst der Wahlspruch der „New York Times“ seit 1851 – ein Motto, das der Wiener Schriftsteller und Journalist Karl Kraus kompakt auf die Formel brachte: „Gut, dass in der Welt täglich stets so viel passiert, dass es gerade in eine Zeitung passt.“

Nach dem Zweiten Weltkrieg brauchte, wer in Deutschland Zeitungen drucken wollte, eine Lizenz durch die Alliierten. Die drei westlichen Alliierten waren sich einig, eine neue demokratische Presse schaffen zu wollen, die keine Bindung an die Zeit vor 1945 hatte. Sie bestanden auf dem Recht zur Zensur und einem System der Lizenzerteilung.

Diese Lizenzen bewahrten die glücklichen Verleger vor dem Wettbewerb. Wer eine solche Lizenz ergatterte – Rudolf AugsteinAxel Springer und Henri Nannen sind die prominenten Vertreter jener bundesrepublikanischen Gründerzeit –, der war wirtschaftlich ein gemachter Mann. Als nach 1949 jeder einen Verlag betreiben durfte, kam es zu einer Flut von Neugründungen durch Familienunternehmer, die schon vor dem Krieg einen Zeitungsverlag besessen hatten. In den fünfziger und sechziger Jahren setzte eine Konzentration ein, die zu regionalen Gebietsmonopolen mit einer einzigen Verlegerfamilie und einer einzigen örtlichen Zeitung führten. Es ist ein offenes, aber nie offiziell bestätigtes Geheimnis der Zeitungsbranche, dass diese Monopole nicht selten durch wettbewerbswidrige Absprachen zustande kamen. Diese ließen sich freilich nie nachweisen.

Die örtliche Gastronomie oder der örtliche Tante Emma Laden kamen gar nicht darum herum, ihre Werbung in der Monopolzeitung zu schalten, wollten sie wahrgenommen werden. Die niedrigen Papierpreise taten ein Übriges, dass Verlage über Jahrzehnte eine satte Rendite einstrichen. Im letzten Boom-Jahrzehnt der Zeitungen wollte niemand in der Branche sehen, dass man kaum gegen das Internet ankommen werde.

Der mit Tim Barners-Lee eingeläutete technologische Wandel hat das Monopol der Journalisten für die Verbreitung von Nachrichten gebrochen. Den Journalisten erwuchs Konkurrenz: Ministerien, Unternehmen, Forschungsinstitute fingen an, ihre Sicht der Dinge selbst im Internet zu veröffentlichen. Die Informationsfans können sich heute den Kommunalhaushalt direkt ansehen, anstatt in der Lokalzeitung über ihn zu lesen. Dazu kamen Blogs von Fachleuten und Autoren, die ihre Sicht der Welt in die Menge der Surfer hineinpusteten. Das Internet nimmt den Zeitungen nicht nur das Anzeigengeschäft, es untergräbt auch ihre Autorität. Das gemeinsame Frühstück in der Familie, zu dem die Zeitungslektüre gehört wie der dampfende Kaffee, gibt es nur noch in den ländlichsten Milieus bundesdeutscher Kommunen, wo das Breitband-Internet auf sich warten lässt.

  1. Das Internet wurde von den Verlegern nicht ernst genommen. Dann entglitt ihnen das Internet als exklusive Plattform für ihre Nachrichten.

Medienunternehmen brauchen ein neues Geschäftsmodell, das flexibel genug ist, um auf die ständigen Änderungen nicht zuletzt im Internet zu reagieren. Die Verlage müssen sich darüber klar werden, wo ihr Kerngeschäft liegt. Eine regionale Zeitung konzentriert sich darauf, lokale Informationen für die Bewohner einer bestimmten Region bereit zu stellen. Dafür nimmt die crossmediale Nutzung von Verlagsprodukten zu. Immer mehr Menschen lesen online oder nutzen eine der 450 Verlags-Apps, die für Smartphones und Tablet-PCs in Deutschland zur Verfügung stehen. Rund 50 Zeitungstitel in Deutschland haben Bezahlschranken für ihre digitalen Inhalte eingerichtet. Eine kleinere Anzahl Leser mittleren Alters sind bereit, für qualitativ hochwertige und gut recherchierte Inhalte zu zahlen. Derweil fällt es vielen Titeln schwer, sich am Markt ohne ein redaktionelles Alleinstellungsmerkmal zu behaupten. Mittel- bis langfristig verlagern sich die Investitionen der Zeitungs- und Zeitschriftenverlage auf die Onlinemedien verlagern. Aber mindestens die nächsten fünf Jahre bleiben die Einnahmen durch Print unverzichtbar.

«Wall Street Journal», «Financial Times» und «Economist» haben gezeigt, dass Bezahlschranken funktionieren können. Allerdings lässt sich dieses Modell nicht ohne weiteres auf einen anderen Kulturraum übertragen. Als «Il Sole – 24 Ore», Italiens führendes Wirtschaftsblatt, 2010 mit einer rigiden Bezahlschranke experimentierte, gingen die Nutzerzahlen so drastisch zurück, dass die Verantwortlichen dieses Modell nach einem Monat aufgaben. Bewährt haben sich Modelle in Kontinentaleuropa, nach denen eine bestimmte Anzahl der Artikel pro Monat (bei den „Metered Paywall“ in der Regel zehn Beiträgen gratis zu haben sind.

Eine Alternative zur „Metered Paywall“ ist das Freemium-Modell – eine Wortschöpfung aus „free“, weil das Basis-Nachrichtenangebot gratis bleibt, und „premium“, weil bestimmte hochwertige, selbst recherchierte und besonders begehrte Inhalte zahlungspflichtig gemacht werden. Damit hatte die „New York Times“ 2005 erfolglos experimentiert, als sie mit ihrem Times-Select-Angebot versuchte, Nutzer für Meinungsbeiträge und Hintergrundanalysen zur Kasse zu bitten. In Ländern wie der Schweiz und Deutschland würden solche Modelle wohl am geltenden Kartellrecht scheitern.

Im Zeitungsgeschäft sind die Preismodelle unübersichtlich geworden, zumal die meisten Verlage mit mehreren Bezahlmodellen arbeiten. Es gibt Preisabstufungen und verschiedene Geschäftsmodelle für Computer, Tablets und Smartphones. Der britische „Guardian“ macht seine Inhalte gratis im Internet zugänglich, seine Apps fürs iPad und für Mobiltelefone sind indessen kostenpflichtig.

[1] http://meedia.de/2016/02/16/70-jahre-die-zeit-im-auflagenvergleich-durchbruch-in-den-60ern-auf-dem-gipfel-anfang-der-90er-und-jetzt/.

[2] http://www.watson.ch/

Lesen Sie in der nächsten Folge. Findest der Medienwandel bald ohne die Zeitungen statt?

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