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Open Password – Donnerstag, den 5. März 2020
# 716
Corona – Leipziger Buchmesse – Hannover Industrie – Willi Bredemeier – Pandemie – China – Italien – Shutdown – Jens Spahn – Frankfurter Musikmesse – Cyber Security Tech Summit – CeBIT – Online Information – Infektionsketten – Bundesligaspiele – Home Office – Quarantäne – Schutzmasken – Robert-Koch-Institut – Dirk Backofen – Wolfgang Lutz – SARS – MERS – WHO – RKI – Bedside-Test – Therapeutika – Öffentlicher Raum – Michael M. Kochen
Corona nach der Absage
der Leipziger Buchmesse
und der Verschiebung von Hannover Industrie (1)
Zwischen 200 nachgewiesen Fällen
und dem Shutdown aller Institutionen
Wenn das deutsche Gesundheitssystem
das Virus nicht eindämmen kann, wer dann?
Lieber Password-Leser,
das Coronavirus hat unwiderruflich Deutschland erreicht und damit unsere Branche. Derzeit stehen wir mit etwa 200 nachgewiesenen Fällen (noch) nicht vor einer Pandemie, sondern vor der Gefahr einer solchen. Gleichwohl ist das Potenzial dieser Gefahr, Schäden anzurichten, derart gewaltig, dass dies bereits zu gravierenden Konsequenzen für das Land und für die Informationsbranche geführt und uns alle verändert hat – in der Ausübung unseres Berufes, in unserem Lebensstil und in unserem Denken. Das Ausmaß der Gefahr wird deutlich, wenn wir vermittelt über das Fernsehen abgesperrte Regionen (in China) und abgesperrte Gemeinden (in Italien) sehen und wir hören, dass Italien gerade erwägt, alle Schulen zu schließen. Ähnliches schließt unser Gesundheitsminister nicht mehr aus und ein Virologe hat für Deutschland einen „14-tägigen Shutdown“ empfohlen, währenddessen alle Einrichtungen geschlossen sind, um den sich ausbreitenden Infektionsketten Herr zu werden.
Die bisher gravierendsten sichtbaren Konsequenzen ist die Absage der Leipziger Buchmesse und die Verschiebung von Hannover Industrie. Eine Reihe von Absagen kleinerer Messen wie der Frankfurter Musikmesse und des Cyber Security Tech Summit (siehe die untenstehende Bekanntmachung) haben sich hinzugesellt. Mit der Absage der Leipziger Buchmesse, zu der sich 2.500 Aussteller angemeldet hatten und man 280.000 Besucher erwartete, wurde der Buchbranche und mit ihr der Literatur und ihren Freunden, die nun auf eines der größten Lesefeste weltweit verzichten müssen, großer Schaden zugefügt. Sollte die Hannover Industrie, neben der Frankfurter Buchmesse die größte Messe Deutschland, nicht nachgeholt werden, so wäre der wirtschaftliche Schaden ungleich größer und eine Beschädigung des Wirtschaftsstandortes Deutschlands. Ein Spinn-off der Hannover Industrie, die CeBIT, wurde seinerzeit von der Informationsbranche ebenso wichtig genommen wie die Frankfurter Buchmesse (die glücklicherweise ja erst im Oktober stattfinden soll).
So gravierend bereits diese Konsequenzen sind, zu den Absagen und Verschiebungen dürfte es keine Alternativen gegeben haben. Sonst hätten sich auf den Messegeländen Menschenmassen teilweise aus Risikogebieten gedrängt und wäre es kaum möglich gewesen, einander auszuweichen. Die Klimaanlagen der Messen sind eher fähig, Viren flächendeckend zu verteilen als vor ihnen zu schützen. Ich erinnere mich gut, wie wir seinerzeit jedes zweite Jahr von der Londoner Online Information mit einem Infekt zurückkehrten. So hätte, wenn die Veranstaltungen stattgefunden hätten, eine hohe Wahrscheinlichkeit bestanden, dass neue Infektionsketten in ganz anderen Größenordnungen entstanden wären. Persönlich wundere ich mich, dass keine Bundesligaspiele abgesagt werden, obgleich Zehntausende einander auf den Stehtribünen und weniger noch in den Shuttle-Bussen ausweichen können und die Fans von der Umarmung auch Fremder nicht lassen möchten, wenn die eigene Mannschaft ein Tor geschossen hat.
Weniger sichtbar, aber in der Summe mindestens ebenso bedeutend sind die weiteren Veränderungen. Informationsanbieter und Informationszentren, die ihren erkälteten Mitarbeitern dringender denn je empfehlen, aufs Home Office zu setzen. Ausverkaufte Masken und Schutzkleidung und hier und da erste Hamsterkäufe von Produkten des täglichen Lebens. Die Veränderungen der Lebensformen, so dass man einander häufiger zuwinkt statt die Hände zu schütteln. In den längeren Telefongesprächen, die ich derzeit führe, kommt irgendwann praktisch immer Corona vor, so dass wir zwar nicht nur, aber immer auch an Corona denken. Unter den schriftlichen (häufig nicht für eine Veröffentlichung freigegebenen) Stellungnahmen, die mich zu Corona erreichen, befinden sich dezidiert kritische (siehe dazu das untenstehende Beispiel).
Man muss nicht zu allen auch wichtigen Problemen eine eigene Meinung haben, und wenn nicht einmal das Robert-Koch-Institut die gegenwärtige Lage angemessen beurteilen kann, kann ich es auch nicht. Also abwarten, regelmäßig Nachrichten hören, die Unsicherheit aushalten und es mit den persönlichen Konsequenzen nicht übertreiben? Eines jedenfalls gilt aus meiner Sicht: Wenn das deutsche Gesundheitssystem Corona nicht eindämmen kann, wer dann?
Willi Bredemeier
Briefe (1)
Coronavirus erreicht
Cyber Security Tech Summit
Sehr geehrter Herr Dr. Bredemeier,
Wir, das Cyber Security Cluster Bonn e.V. haben uns schweren Herzens entschieden, dass für den 11. März in Bonn geplante Cyber Security Tech Summit Europe 2020 nicht stattfinden zu lassen und das Event im Interesse der Gesundheit aller Gäste und Partner zu verschieben.
Wir haben die sich immer weiter zuspitzende Situation bezüglich der Gefährdung und Infektionsketten des Corona-Virus sorgfältig geprüft. Um die weitere Verbreitung des Virus sowie mögliche Einzel- oder Gruppeninfektionen unserer bereits registrierten 2.000 Gäste zu verhindern, haben wir uns entschlossen, das Event nicht zum jetzigen Zeitpunkt auszurichten. Die Gesundheit und Fürsorge für all unsere Gäste und Partner ist für uns oberstes Gebot und liegt uns extrem am Herzen. Wir können und wollen da keine Risiken eingehen.
Auch wenn das Cyber Security Tech Summit jetzt nicht stattfinden kann, werden wir noch in 2020 einen neuen Anlauf nehmen und versuchen, einen Termin wahrscheinlich in der 2.Jahreshälfte zu finden. Sobald dieser feststeht werden wir darüber informieren.
Vielen Dank für Ihr Verständnis und in der Hoffnung, Sie auch beim neuen Termin als Gast wieder mit dabei zu haben, verbleibt mit freundlichen Grüßen Dirk Backofen, Vorstandsvorsitzender Cyber Security Cluster Bonn e. V. und Leiter Telekom Security, Bonn
Briefe (2)
Komplettes Politikversagen
angesichts fehlender Schutzausrüstung
Sehr geehrter Herr Bredemeier, …
wenn man von einer geschätzten Zahl Infizierter von bis zu 50 der 82 Millionen Einwohner in Deutschland und einer momentanen Mortalitätsrate von 0,5 % ausgeht, kämen wir auf 250.000 Sterbefälle.
Sollte sich die Sterblichkeitsrate allerdings wie in Italien entwickeln (79 Sterbefälle von 2502 Infizierten https://www.welt.de/vermischtes/live205334991/Coronavirus-Zahl-der-Toten-in-Italien-steigt-binnen-24-Stunden-drastisch-an.html), kämen wir auf auf eine Mortalitätsrate von 3,16 % und somit auf 1.580.000 Sterbefälle in Deutschland.
Wirklich kein Grund, die Grenzen zu schließen und noch vorhandenen Schutzausrüstung für Mediziner zu beschlagnahmen?
In keiner Apotheke (weder Großhandel noch Einzelhandel) gibt es mehr Schutzausrüstung, sei es Mundschutz, oder Desinfektionsmittel!
Ein komplettes Versagen der deutschen Politik und unserer Verantwortlichen.
Mit freundlichen Grüßen Wolfgang Lutz
Corona (2)
Zur aktuellen Situation
Zum skandalösen Mangel an Schutzausrüstung und zum Teil auch Desinfektionsmaterial. Es deutet sich an, dass Ihre Hilferufe und unsere medialen Aktivitäten die Aufmerksamkeit der Verantwortungsträger gefunden haben und sich (z.T. regionale) Lösungen anbahnen.
Epidemiologische Situation, Diagnostik, Therapie. In Deutschland sind bis heute 196 Fälle gezählt worden (das RKI bringt jetzt tägliche Aktualisierungen unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Fallzahlen.html). Neben China und Südkorea steht Italien vor dem Iran an dritter Stelle der gemeldeten Zahlen.
Die in den verschiedenen Talkshows auftretenden Experten zeichnen ein aus meiner Sicht nicht selten widersprüchliches Bild. Wir befinden uns in der Anfangsphase der Virusausbreitung und dürften in den kommenden Tagen und Wochen eine Potenzierung der Fallzahlen erleben. Obwohl die überwiegende Mehrheit der Infizierten nur milde erkrankt (oder gar symptomlos) sind, werden wir erst in einigen Monaten die gesamte Bandbreite der Epidemie überblicken können. Basierend auf ähnlichen Abläufen von Influenzaausbrüchen (aber auch SARS 2002/03 und MERS 2012/13) in den letzten mehr als einhundert Jahren, gehen die Schätzungen von erfahrenen Epidemiologen und der WHO in Richtung einer Mortalitätsrate von rund 0.5%. Nicht viel, könnte man meinen. Aber wer von einer geschätzten Zahl Infizierter von bis zu 50 der 82 Millionen Einwohner in Deutschland ausgeht, dürfte über das Ergebnis dieser Kalkulation vielleicht erschrecken.
Entscheidend ist, ob die Ausbreitung der Infektion zeitlich verzögert werden kann (nur wenn das gelingt, werden die Folgen gemildert). Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Strategie der Quarantäne von Kontaktpersonen, die momentan im Lande realisiert wird, konsequent eingehalten werden (sog. Containment). „Falls mehr Fälle auftreten, die nicht mehr auf einen bereits bekannten Fall zurückgeführt werden können und deutlich würde, dass die Verbreitung auf Dauer nicht zu vermeiden ist, wird die Bekämpfungsstrategie schrittweise angepasst. Dann konzentriert sich der Schutz stärker auf Personen und Gruppen, die ein erhöhtes Risiko für schwere Krankheitsverläufe aufweisen (Protection, Schutz-Strategie vulnerabler Gruppen)“ heißt es im Epidemiologischen Bulletin des RKI vom 13.2.2020. …
Eine von früheren Ausbrüchen bekannte, mögliche Bremswirkung der ansteigenden Außentemperaturen auf die Eindämmung des Infektionsgeschehens bleibt vorläufig Spekulation. Ebenso die Entwicklung in Afrika, Südamerika und besonders in Japan (das gegen den Rat von Wissenschaftlern Testungen massiv einschränkt und irreführend niedrige Zahlen publiziert).
Detaillierte Hinweise zu Diagnostik und Therapie… Die Entwicklung eines bedside-Tests, der uns eine sofortige diagnostische Information bietet [mit allen potentiellen Nebenwirkungen, wie z.B. einer erklecklichen Rate an falsch-positiven Ergebnissen] wird für die nächsten Wochen erwartet.
Es laufen weltweit zahlreiche Studien mit potentiellen Therapeutika, von denen noch keine belastbaren Ergebnisse verfügbar sind (dabei stehen der HIV-Proteasehemmer Kaletra, das Malariamittel Hydroxychloroquin und das seinerzeit gegen SARS mit eher mäßigem Erfolg eingesetzte Virustatikum Remdesivir im Mittelpunkt).
Öffentlicher Raum/Medien. Wer sich im öffentlichen Raum aufhält, wird von der Abwesenheit von Hinweisen zu Hygieneregeln (höflich gesagt) frappiert sein. Ich habe in den letzten 14 Tagen konsequent in Bussen, Bahn, Tram, Bahnhöfen, Museen, Konzerthallen oder Theatern darauf geachtet und an keinem einzigen Ort ein Poster o.ä. gesehen. Überall gibt es Anzeigetafeln mit Aufforderungen an das Publikum, dass das Handy auszuschalten oder Fotografieren verboten ist – aber nicht, dass das Husten in die Hand unterlassen werden sollte.
In diesem Zeitraum von zwei Wochen habe ich gerade einmal zwei Personen gesehen, die z.B. in ein Taschentuch oder den Ärmel statt in die Hand gehustet haben (eine davon kam aus den USA, die andere war eine Kassiererin in einem Supermarkt). Die zuständige Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung schaltet lieber großformatige und kostenintensive Anzeigen in Zeitungen. Selbst wenn es sich hier um private Veranstalter handelt, gibt es keinen vernünftigen Grund für die BZgA, alle in Frage kommenden Organisatoren nicht mit entschiedenem Druck auf diese notwendigen Maßnahmen hinzuweisen.
Prof. Michael M. Kochen für die Mitglieder der Deutschen Gesellschaft
für Allgemeinmedizin und Familienmedizin – zur Verfügung gestellt von Wolfgang Lutz
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