Password-Nachrichten, – Analysen und -Kommentare – Montag, den 29. Februar 2016
Rafael Ball – b.i.t.online – Bibliothekarischer Diskurs – Willi Bredemeier
Rafael Ball
Entschuldigung und Respekt
für erfolgreiche Bibliotheken
„Höchste Zeit für eine Diskussion“
über die Zukunft des Bibliothekswesens
Nach dem Aufruhr der Bibliothekare im biliothekarischen Raum hat sich Rafael Ball entschuldigt und im Editorial des aktuellen b.i.t.online einige Worte guten Willens gesagt. Unter anderem schreibt er:
„Dass wir eine sachliche Diskussion über Bibliotheken, ihre Bedeutung und ihre Zukunft brauchen, ist spätestens seit meinem Interview in einer Schweizer Zeitung vor wenigen Wochen und den Reaktionen darauf klar geworden.
Wenn aus wenigen, aus der Hüfte geschossenen und im Ton sicher nicht durchgängig glücklichen, steilen Thesen allerhöchste Medienpräsenz zum Thema Bibliotheken entsteht, dann war es höchste Zeit für eine Diskussion. Und der Diskurs ist konstruktiv im Gange zwischen Menschen, die guten Willens sind. Dass das Interview nicht jeden glücklich gemacht hat, kann ich im Nachhinein verstehen.
Insbesondere die öffentlichen Bibliotheken fühlen sich hier kritisiert. Tatsächlich sind viele von ihnen auf dem Weg des digitalen Wandels schon sehr erfolgreich unterwegs. Vor diesen Kolleginnen und Kollegen habe ich großen Respekt und bei ihnen möchte ich mich auch ausdrücklich entschuldigen. …“
Aufruhr unter Bibliothekaren
Was Rafael Ball sagte,
war im Grunde Konsens,
nur nicht im Ton
Was ist, wenn man gar nicht
in die Medien kommt,
wenn man auf aggressive Formeln verzichtet?
Diskurs unter Bibliothekaren
sollte „angelsächsicher werden“
Von Willi Bredemeier
Können wir die Diskussion um Rafael Ball nunmehr abschließen, nun, da sich Rafael Ball entschuldigt und zu einem „konstruktiven Diskurs“ unter Menschen aufgerufen hat, „die guten Willens sind“? Hier werden die Thesen vertreten, dass Rafael Ball inhaltlich kaum von dem abgewichen ist, was im Bibliothekswesen Konsens ist, und sich davon vor allem im aggressiven Ton unterschied, und dass seine Stellungnahme ebenso wie viele Reaktionen darauf Schwächen im Diskurs unter deutschsprachigen Bibliothekaren teilen. Um besser zu werden, sollte der bibliothekarische Diskurs Anleihen aus dem angelsächsischen Raum aufnehmen.
Wir nehmen die Debatte zum Anlass für den Hinweis, dass Ball das Gleiche früher gesagt, unter anderem in dem 2013 erschienenen Buch „Was von Bibliotheken wirklich bleibt“ (Dönges & Frick), ohne dass es danach Ansätze eines Aufstandes gegeben hätte.
Das Vorwort des Buches beginnt mit den Worten:
„Das Informationsmonopol der Bibliotheken ist gekippt. Niemand braucht die altehrwürdigen Institutionen noch wirklich. Längst lösen andere Monopole unsere Informationsbedürfnisse.“
Auf der gleichen Seite wird gefragt:
„Brauchen wir sie also tatsächlich nicht mehr? Was werden Bibliotheken morgen anbieten? Gelingt ihnen die Wende von der verstaubten Behörde zum modernen konkurrenzfähigen Dienstleister in der digitalen Welt der Informationsindustrie? Wie sollten sich Bibliotheken positionieren in einer Welt der permanenten Netzverfügbarkeit, der allgegenwärtigen Smartphones und Tablets?“ (Seite 9)
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Die Bibliotheken müssen in die Medien, wenn sie sich den notwendigen Support in der Gesellschaft erhalten wollen. Aber das schaffen sie vielleicht nur mit aggressiven Formulierungen a la Ball.
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Hier haben wir in einer Nussschale wesentliche Elemente des gesamten Buches vor uns. Der Ton ist alarmistisch. Der oberflächliche Leser könnte meinen, das Ende der Bibliotheken sei nah (dabei geht es doch nur um das Ende der Bibliotheken als „altehrwürdige Institutionen“). Der Alarmismus ist sachlich insoweit gerechtfertigt, als sich die Bibliotheken angesichts ihrer rückläufigen Ressourcen und ihres unklaren künftigen Weges in einer Existenzkrise befinden. Er ist insoweit ungerechtfertigt, als das Stilmittel des Alarmismus häufig gewählt wird, um in der Rolle des Rebellen gegen uneinsichtige geschlossene Festungen im Diskurs anzutreten. Aber hier tritt Ball nur offene Türen ein, indem er sich nicht inhaltlich, sondern nur im Ton von seinen Kollegen absetzt. Scheinbar dazu sagt Ball an anderer Stelle:
„Insgesamt gilt es … unbedingt im Gespräch bleiben. Unsere Welt ist eine Medienwelt. Wer nicht wahrgenommen wird, existiert nicht. Wo der Diskurs nämlich Konkurs erleidet, werden sich Bibliotheken keine Chancen mehr geben (können)“ (Seite 105).
Hier wird in drei Sätzen der Grundkonflikt in der „Affäre Ball“ beschrieben. Die Bibliotheken müssen in die Medien, wenn sie sich die für ihre Existenz notwendige Unterstützung in der Gesellschaft sichern wollen. Aber das schaffen sie nur, wenn sie aggressive Formulierungen a la Ball wählen, dies womöglich um den Preis einer weitgehenden Entfremdung unter Kollegen. Müsste demnach nicht debattiert werden, wie der Spagat, zwischen den Anforderungen der nationalen Medien und dem Bedürfnis nach Seriosität und Zurückhaltung in der Sprache zu schaffen ist?
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Assoziative Status-quo-Beschreibungen von Problemlagen, die sich vorwiegend im Ton vom allgemeinen Konsens unterscheiden.
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Formal handelt es sich bei dem Buch um Essays, wenn nicht um „Snippets“, also um hingeworfene Kurzkommentare aus tagespolitischem Anlass für den raschen Konsum. Das ist vielleicht Ball-typisch. Aber benötigen wir für eine angemessene Diskussion über die Zukunft der Bibliotheken nicht auch generell einen Ansatz, mindestens eine viel versprechende These, die alles zusammenhält, damit wir im Overload der Zusammenhänge nicht untergehen und am Ende nicht vieles vorfinden, was irgendwie interessant sein könnte, aber unserer Sache – der Zukunft der Bibliotheken – nicht dienlich ist?
Wir verzichten an dieser Stelle auf eine formale Kritik, außer die, dass auch Bücher für den bibliothekarischen Diskurs einen Lektor oder zusammenführende redaktionelle Arbeiten des Autoren dringend nötig haben können. Generell sollten mehr Bücher nach der Qualität seiner Inhalte und weniger nach der Position seines Verfassern herausgegeben werden. Auch bei den Status-quo-Beschreibungen des Buches müssen wir nicht in die Einzelkritiken gehen, aus meiner Sicht stimmt das mehr oder minder. Aber das stellt alles mehr oder minder den allgemeinen Konsens dar – allerdings in einem alarmistischen und polemischen Ton (den wir ja, siehe oben, vielleicht nötig haben, um die Medien zu gewinnen):
„Die Gesellschaft will es sich nicht mehr länger leisten, Wissenschaft bedingungslos vor sich hin arbeiten zu lassen, sie verlangt zurecht Rechenschaft auch von jenen, die mit Steuergeldern die Fußnoten in den Briefen von König Ludwig analysieren und sie erwartet wieder zurecht, wie ich meine, dass sich die Wissenschaftler messen lassen mit vergleichbaren Maßstäben, die international anerkannt sind und nicht durch die undurchdringliche Selbstbestätigung der Inner Circles einer eingeschworenen Community, die sich permanent selbst bescheinigt, wie gut und hervorragend ihre Ergebnisse und wie fundamental ihre Forschungen für die Zukunft der Menschheit sind.“ (Seite 85)
Ja klar, dass meinen wir alle (obgleich wir das zurückhaltender formulieren würden). Aber ist es damit nicht auch trivial?
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Anstelle praktischer Lösungen für Bibliotheken wohlklingende allgemeine Aufforderungen.
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Meine Hauptkritik an Rafael Ball und an beachtliche Teile des bibliothekarischen Diskurses lauten jedoch, dass sie uns nicht weiterbringen. Weder stellt er konkrete Lösungen für die angesprochenen Probleme vor noch beschreibt er Beispiele, wie einzelne Bibliotheken aktuelle Herausforderungen überzeugend bewältigen. Vielmehr beschränkt er sich häufig auf Fragen, listet also auf, was der Autor ansatzweise beantworten sollte. Oder er beschränkt sich auf gut klingende Aufforderungen, wie wir sie aus der Managementliteratur kennen, zum Beispiel:
„Der freie Zugang zu wissenschaftlicher Literatur bedeutet einen Paradigmenwechsel in der Wissenschaftskommunikation. Und deshalb ist es ganz besonders wichtig, jetzt im Gespräch zu bleiben, die Bedürfnisse aller Akteure abzustimmen sowie Prozesse und Geschäftsmodelle zu entwickeln, die das Know-how und die Kompetenzen aller Beteiligten konstruktiv in die neue Situation einbringen.“ (Seite 83)
Ja klar, lasst uns mal alle miteinander reden. Und dabei muss es vor allem „modern“ unter uns zugehen, nicht wahr?
Dabei ist dem Autor zuzugestehen, dass der künftige Weg der Bibliotheken in Teilen dunkel ist und nicht alle Fragen beantwortet werden können (was der Autor auch sagt und beschreibt).
Aber bei einem Buch von 203 Seiten muss es doch Ausnahmen geben, auf die die hier geübte Kritik nicht zutrifft? Dazu habe ich dieses Zitat gefunden:
„Die Bibliothek der Zukunft muss zum Mehrwertdienstleister mit kritisch-krisischer Kompetenz werden, dem es im Sinne eines Customer Relations Managements gelingt, mit wirklichen Mehrwerten aus zufriedenen loyale Kunden und Unterhaltsträger zu machen. … Wie einfach wäre es, Wissenschaftlern und Studierenden attraktive, individualisierte Angebote über Neuerwerbungen zukommen zu lassen und sie über verwandte und ähnliche Titel und Treffer einer Datenbank zu informieren. … Da muss auch jede noch so gut gemachte One-to-One-Marketingstrategie auch wirklich gut gemacht und vor allem individuell treffend sein.“ (Seite 111f.)
Diese Idee ist nun vielversprechend und kann funktionieren. Aber wenn man meint, jetzt mehr über Personalisierungsstrategien im Bibliotheksbereich zu erfahren, wird man damit abgespeist, dass eine „One-to-One-Marketingstrategie … wirklich gut gemacht“ sein müsste. Aber sicher, was denn sonst? Andererseits: Müssen wir nicht auch bei den Kollegen Balls häufig nach geeigneten pragmatischeren Ansätzen suchen?
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Anleihen aus dem pragmatisch-politischen Ansatz der Angelsachsen aufnehmen!
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Open Password wird in Kürze Beispiele für eine „pragmatisch-politischen Ansatz“ für Bibliotheken aus dem angelsächsischen Raum vorstellen, die in drei vier knappen Thesen einen Approach für die Zukunft von Bibliotheken vorstellen, pragmatisch relevante Schlussfolgerungen ableiten und Beispiele bringen, wo das alles bereits konkret verwirklicht worden ist. Wir finden, dass wir, die wir deutscher Zunge sind, davon lernen können.
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