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Open Password: Mittwoch, den 12.Juli 2016

Barbara Brendstetter – Journalisten – Zukunft der Informationswissenschaft – Stephan Holländer – Informationswissenschaft Düsseldorf – ZB MED – National Library of Medicine – Rainer Kuhlen – Walther Umstätter – Bernd Jörs – Hochschulverband Informationswissenschaft – ISI 2015 – ISI 2017 – Fachhochschulen – Schweiz – Big Data – Anna Knoll – Information Professionals

Wie die Journalisten sind:
„Links, gottlos, arm“

Barbara Brandstetter, Links, gottlos, arm, über eine britische Studie zur Lage der Journalisten, in kress pro, 5/2016.

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Lesen Sie in der nächsten Folge von Open Password

Qualifizierung: Anna Knoll durchforstet das Netz

What Information Professionals need
in Kenya (and worldwide)
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Forschung und Lehre

Die Krise der Informationswissenschaft
bedroht die Ausbildung
an den Fachhochschulen

 

Reorientierung auf „Internet der Dinge
und Dienste“ vonnöten

Von Stephan Holländer

Die letzten Monate haben wenig Erfreuliches für Lehre, Forschung und Praxis der Informationswissenschaft in deutschsprachigen Ländern gebracht. Ein Fokus lag auf den Neuigkeiten aus NRW. Die Ankündigung der Abwicklung des informationswissenschaftlichen Stuhls an der Universität Düsseldorf war der erste Schlag, die Ankündigung der Abwicklung der ZB MED der zweite. Trotz Mobilisierung durch die Studierenden und des interessierten Fachpublikums gelang es nicht, die Einstellung des Studiengangs Informationswissenschaft und Sprachtechnologie an der Universität Düsseldorf und zunächst auch die Abwicklung der ZB MED zu verhindern.

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Wärst Du doch in Düsseldorf geblieben…
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Zunächst zu Düsseldorf. Der Hof dazu war vom bisherigen und damit letzten Lehrstuhlinhaber in Düsseldorf schlecht bestellt worden und der Stuhl selbst zu wenig an der Universität Düsseldorf verankert. Vom Lehrstuhlinhaber wurde die schlechte Nachricht erst nach außen kommuniziert, als das Kind in den Brunnen gefallen war. Noch während der ISI in Kroatien hatte man frohe Miene zum sich abzeichnenden bösen Spiel an der Universität in Düsseldorf gemacht.

Andere Informationswissenschaftler hatten die Abwicklung der jeweiligen Lehrstühle nach ähnlichem Drehbuch bereits eindrücklich vorgemacht, wie die Beispiele aus Berlin, Konstanz und Saarbrücken aus der Vergangenheit der Informationswissenschaft belegen. Mehr als zu einem „dumm gelaufen“ und einem feuchten Händedruck für die sich engagiert manifestierende studentische Interessensvertretung und das sich engagierende externe Fachpublikum hat es dann am unteren Rhein nicht mehr gereicht.

Zur gleichen Zeit lieferte sich Professor Kuhlen mit seinem Kollegen Umstätter in diesem Forum ein akademisches Wortgefecht um die Exegese der Informationswissenschaft, als wären die goldenen Zeiten der Förderung von Information und Dokumentation durch das BMFT zurück. Es besteht sicher ein Minimalkonsens mit Professor Kuhlen, dass nämlich Klagen über die Krise der Informationswissenschaft allein nicht weiterhelfen. Soweit, so richtig. Sein Vorschlag, gleich eine Sondertagung dazu einzuberufen, erweist sich jedoch als ein Akt der Hilflosigkeit und liest sich wie eine Anleitung zur Reise in die informationswissenschaftliche Vergangenheit der Bonner Republik, als Dispute mit Harald Zimmermann und Gernot Wersig mehr die Regel als die Ausnahme waren. Der darauf zielende Einwurf von Professor Jörs in diesem Forum kann daher inhaltlich nicht völlig von der Hand gewiesen werden. Man darf gespannt sein, was er der interessierten Öffentlichkeit im Herbst auf der Steilvorlagen-Veranstaltung auf der Buchmesse in Frankfurt zu sagen hat.

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Was am Rhein, aber nicht in den Vereinigten Staaten möglich ist.
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Kaum hatte sich das Fachpublikum von dem Schlag ins Kontor etwas erholt, kam die nächste Hiobsbotschaft aus Nordrhein-Westfalen – die Einstellung der finanziellen Unterstützung der ZB MED durch die Leibniz Gemeinschaft. Begründet wurde diese Empfehlung zur Abwicklung der ZB MED damit, dass insbesondere ein Forschungskonzept zur Weiterentwicklung von digitalen Angeboten fehle. Auch sei in den vergangenen vier Jahren die Empfehlung nicht umgesetzt worden, die informationswissenschaftliche Kompetenz an der ZB MED deutlich zu stärken. Rechtfertigend führte die Leibniz Gemeinschaft dazu aus: „Bereits 2012 vermisste der Senat der Leibniz Gemeinschaft bei einer Evaluation eine Strategie, mit der die ZB MED den Wandel von einer klassischen Bibliothek hin zu einem modernen Fachinformationszentrum“ vollzog. Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit benachbarten Hochschulen in Forschung und Entwicklung seien kaum ausgeschöpft worden.

Diesmal war die angesprochene Öffentlichkeit rühriger: Prof. Mumenthaler der HTW Chur hat als Beirat der ZB MED die Grenzen der Möglichkeit des Erfüllens des Auftrags der Leibniz Gemeinschaft in einer dafür viel zu kurzen Zeit geschildert. Nachdem die Potenziale der Mobilisierung der Fachcommunity durch eine Unterschriftenaktion und Stellungnahmen einigermaßen ausgeschöpft waren, hielt sich die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Anfrage der Fraktion DIE LINKE bedeckt.

Eine mögliche Schließung der ZB MED würde sich sehr negativ auf die Informationsversorgung mit medizinischer Fachliteratur auswirken. Die ZB MED umfasst in ihrem Portfolio unter anderem 2.700 Zeitschriften aus dem Bereich der Medizin und Medizinforschung. „Die Informationsversorgung wird sich mit der Abwicklung von ZB MED drastisch verschlechtern. Wie sich dies auf Wissenschaft, Forschung und Krankenversorgung auswirken wird, ist unabsehbar“, so die ZB MED.

Ein Vergleich mit gleichgelagerten Institutionen im Ausland, etwa der National Library of Medicine in den USA, zeigt, dass die sehr betriebswirtschaftlich alerten Behörden auf der anderen Seite des Atlantiks niemals auf die Idee kommen würden, ein solches Eigentor zu schießen. Ein mattes „Et hätt noch emmer joot jejange“(„Es ist bisher noch immer gut gegangen“) der rheinischen Frohnaturen vor Ort könnte über die Niederlage für den Fall, dass von der heutigen ZB MED nur mehr Rudimente übrig blieben, nicht hinweg helfen.

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„Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten,
Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.“
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Wer nun glaubte, eine weitere Steigerung durch irrgeleitete Querschläger sei nicht möglich, wurde vor kurzem eines Besseren belehrt. Der Hochschulverband Informationswissenschaft (HI) veröffentlichte seinen Call for Paper für die ISI 2017: http://isi2017.ib.hu-berlin.de/cfp.html. Der Aufruf liest sich wie eine Publikation aus der Welt der Geschichte der Informationswissenschaft. Man glaubt in Michael Bucklands „The Academic Heritage of Library and Information Science: Resources and Opportunities“ zu lesen.[1] Gestalten wie Jason Farradane, Fred Kilgour und Vannevar Bush steigen vor dem geistigen Auge auf. Die Gründergeneration der deutschsprachigen Informationswissenschaft mit Thomas Seeger, Gernot Wersig, Laus Laisiepen und Karl–Heinrich Meyer-Uhlenried feiern fröhliche Wiederauferstehung. Literarisch Geneigte sind versucht, die Zueignung aus dem Faust I zu zitieren:

„Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten,
Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.“

[1] M. Buckland: The Academic Heritage of Library and Information Science: Resources and Opportunities, 2000. Vgl. Bowden, M., T.B. Hahn, R.W. Williams (eds.): Proceedings of the 1998 Conference on the History and Heritage of Science Information Systems. Medford 1999

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„Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen,
geht man zufrieden aus der ISI ´raus?“
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Nun ja, rückwärtsgewandt geht immer. Das Bemühen des HI, einen möglichst breiten Interessentenkreis anzusprechen, wird durchaus ersichtlich, aber eine notwendige Profilierung der nächsten ISI findet nicht statt. Um den Kollegen Wolfgang Semar zu zitieren, der mir in einem Gespräch zurief, dass es nicht nur eine Industrie 4.0, sondern auch eine Informationswissenschaft 4.0 brauche, kann da getrost zugestimmt werden. Fragte man sich bereits zur ISI-Konferenz 2015 in Zadar, ob dies nicht eine Reise zurück in die Zukunft sei oder ob man sich gleich zu einem längeren Spaziergang auf die Stadtpromenade von Zadar entschließen sollte, so stellt sich für die ISI in Berlin bereits vor Abreise die Frage, ob da der Koffer nicht gleich auf dem Boden bleiben soll. Der Vorstand des HI scheint sich für Berlin von Goethes Faust I (Vorspiel) leiten zu lassen:

Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;
und
jeder geht zufrieden aus dem Haus.“

Nun ja, die letzte Aussage wird man bezweifeln dürfen.

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Die abnehmende Zahl der Studierenden beflügelt die Dozierenden nicht.

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Was bei den halbjährigen rituellen Diskussionen über den Niedergang der deutschsprachigen Informationswissenschaft immer wieder ausgeblendet wird, ist die Lehre, die in den drei Ländern an Fachhochschulen leidlich etabliert zu sein scheint. Wenn weitere informationswissenschaftliche Stühle dahinfallen, so darf mit Fug und Recht die Frage gestellt werden, wo denn der Nachwuchs der Dozierenden an jenen Fachhochschulen herkommen soll. Das Eis ist dünn geworden. Dabei braucht man sich in der Schweiz kaum auf die stolz geschwellte Brust zu klopfen, ist es doch in einer über dreißigjährigen Leidensgeschichte anders als in den Nachbarländern nicht gelungen, einen informationswissenschaftlichen Stuhl an einer Schweizerischen Universität zu etablieren. Die Ausbildung an den Fachhochschulen kann ohne diesen Input langfristig nicht bestehen.

Eine gewisse Lethargie macht sich breit und die sich abzeichnende demografisch bedingte abnehmende Zahl der Studierenden scheint das Heer der Dozierenden nicht dazu beflügeln, ihre Studiengänge attraktiver zu machen. Man hat in der Vergangenheit so manches Orchideenfach ins Curriculum geschmuggelt – dies im Glauben, dass es, solange es Archive und Bibliotheken gibt, auch genug akademisch zu bildenden Nachwuchs geben werde, der diese „Nische“ rechtfertigt. Die Herausforderung ist, die bisherigen Studierenden zu halten und dank neuer Themen- und Aufgabenfelder weitere interessierte Studienanfänger anzusprechen.

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It is the data, stupid!

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Die Heinrich-Heine-Universität und die Leibniz Gemeinschaft sind aktuell die Avantgarde der Abwicklung der Informationswissenschaft, Nachahmer werden folgen. Eine noch vom Axiom „Information ist in Wissen in Aktion“ eingenommene Generation von Dozierenden, mitunter ausgebildet an den Gestaden des Bodensees, scheint zu übersehen, dass die Information mit der Digitalisierung und Virtualisierung zur „kleinen Münze“ der Daten geworden ist.

Die globale und interdisziplinäre Verknüpfung und Auswertung riesiger anfallender Datenmengen stellt Industrie und Institutionen unterschiedlicher Ausrichtungen vor große Herausforderungen. Ziel einer notwendigen Neuausrichtung muss es sein, die in den Daten implizit enthaltene Information zu extrahieren und nutzbar zu machen. Mit der „Datenwissenschaft“ etabliert sich als Ergänzung zur klassischen Informationswissenschaft eine neue Disziplin, die sich den aktuellen Themen der Analyse, Aufbereitung und Visualisierung großer Datenmengen widmet und über eine interdisziplinäre Ausrichtung das professionelle Know-how für die dringend benötigten Datenspezialisten für Industrie und Dienstleistungssektor liefert. Als Fortentwicklung des früheren Schwerpunkts „Information und Dokumentation“ befasst sich dieser neue Zweig mit dem „Internet der Dinge und Dienste“.

Ohne diese Neuausrichtung wird auch die Bastion der informationswissenschaftlichen Ausbildung an Fachhochschulen mehrheitlich mittelfristig geschleift werden. So etwas kann schnell gehen, wie die beiden aktuellen Beispiele aus Nordrhein-Westfalen zeigen.

Gelingt diese Neuausrichtung der Informationswissenschaft nicht, so verkommt die Informationswissenschaft im deutschsprachigen Raum zu einer traurigen Randnotiz. Dies ist dann weit entfernt vom guten Ruf, den die Informationswissenschaft in den USA gleichberechtigt neben der Informatik genießt.

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