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Open Password – Montag, den 9. November 2020

#848

Password-Archiv – Neue Bundesländer – Bundesrepublik Deutschland – Westdeutsche Lösungen – Beteiligungschancen – Jahresberichte zur Lage der Informationswirtschaft in den Neuen Bundesländern – Hans-Jürgen Manecke – Willi Bredemeier – Informationswirtschaft – Informationsvermittlungsstellen – Strukturelle Lücke – Hansjoachim Samulowitz – Jörg Becker – HWWA – Informationsinfrastruktur – De-Informatisierung – Verlängerte Werkbank – Verlängerte Servicebank – Ineffizienz – Ideologieverdacht – Fachkompetenz – Kahlschlagpolitik – Technische Unterversorgung – Politische Gängelung – Westliche Hosts – Vernichtung von Humanressourcen – Regionale Entwicklungspotenziale – Förderpolitik – Fachdiskurs

Teil der Berliner Mauer – gegenwärtiger Standort:
Fensterbank im Wintergarten des Autors.

Password-Archiv

30 Jahre Übernahme der „Neuen Bundesländer“
durch die Bundesrepublik Deutschland

31 Jahre Fall der Berliner Mauer

Westdeutsche Lösungen ohne ostdeutsche Beteiligung und ohne Anpassung vor Ort
einfach übergestülpt

 

Von Willi Bredemeier

Im Password-Archiv befinden sich nicht nur die kompletten Ausgaben von Password Print und Password Online, sondern auch die Bücher, die ich im Laufe von Jahrzehnten über die Informationsbranche geschrieben habe. Leider lagen sie nicht in einer brauchbaren Ordnung vor, aber ich brachte nicht die Zeit und vielleicht auch nicht die Lust auf, die notwendig gewesen wäre, diese zu schaffen. So verdanke ich es meiner Frau, dass die „Jahresberichte zur Lage der Informationswirtschaft in den Neuen Bundesländern“ fast rechtzeitig zu den Gedenktagen zu „30 Jahren Deutsche Einheit“ wiederaufgetaucht sind. Es gab deren drei, und immer waren Prof. Hans-Jürgen Manecke, der die empirischen Erhebungen durchführte, und ich dabei. Einen vierten Jahresbericht konnte es nicht mehr geben, weil die Informationswirtschaft in den „Neuen Bundesländern“ 1996 praktisch untergegangen war (die paar Informationsvermittlungsstellen im Öffentlichen Bereich ausgenommen).

Wenn ich heute die damaligen Jahresberichte durchblättere, so bin ich erstaunt, um nicht zu sagen, fassungslos darüber, dass sich das meiste, was damals befürchtet wurde, eingetreten ist und dass die „strukturelle Lücke“ der östlichen Bundesländer zugunsten des deutschen Westens weitgehend aus den gleichen Gründen wie damals erhalten blieb. Etwas hat sich allerdings geändert, dass nämlich die Ostdeutschen mittlerweile den Mund aufmachen und das anprangern, was schon vor dreißig Jahren möglich gewesen wäre. Geblieben sind hingegen ein Wegschauen und Weghören im Westen. Als ich beispielsweise unseren Branchenverband um Hilfe bei der Verbreitung eines Jahresberichtes bat, rief mich dessen Geschäftsführer an und sagte: „Ich soll dir von meinem Vorstand bestellen, wir können den Begriff „Neue Bundesländer“ nicht mehr hören.“

Im Folgenden zitiere ich aus Willi Bredemeier/Hansjoachim Samulowitz, Zur Situation der Informationsvermittlung in den Neuen Bundesländern: Acht Thesen, in: Hans-Jürgen Manecke, Jörg Becker, Willi Bredemeier, Hansjoachim Samulowitz, 1. Jahresbericht zur Lage der Informationswirtschaft in den Neuen Bundesländern – 1993, Veröffentlichung des HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung-Hamburg – Aktuelle Fachinformation. Die These, eine Entwicklung des Osten könne es nur geben, wenn man der Region nicht westdeutsche Lösungen überstülpe, habe ich nicht nur dort, sondern in vielen weiteren Veröffentlichungen vertreten. Vielmehr müsse man von den Entwicklungspotenzialen vor Ort ausgehen und die Lösungen gemeinsam mit ostdeutschen Partnern finden. Dies immerhin ist mittlerweile Mehrheitsmeinung in der veröffentlichten Meinung geworden. Hier die acht Thesen:

„(1) Soweit es um die Vermittlung von Informationen für Wissenschaft, Technik und Wirtschaft geht, muss von einem Untergang der DDR-Informationsinfrastruktur – bei (noch?) bestehengebliebenen geringen Restbeständen gesprochen werden.

Mildere Begriffe als Untergang werden den … Entwicklungen nicht gerecht, wenn nach Manecke/Markscheffel neun von zehn Informationsvermittlern in der DDR nach der „Wende“ … ihren Beruf aufgeben mussten; fast neun von zehn Informationsvermittlungsstellen (IVS) ihren Beruf aufgeben mussten; sich die rasante Talfahrt der IVS in den Neuen Bundesländern nach allen Anzeichen fortsetzen wird…

(2) Soweit es um die Informations-Infrastruktur im erweiterten Sinne – also zum Beispiel einschließlich öffentlicher Bibliotheken, Presse, Verlage, Rundfunk und Fernsehen sowie Forschung und Entwicklung geht, muss nach den Ergebnissen der Sekundärstudie von Jörg Becker gleichfalls in weiten Bereichen von einem Untergang gesprochen werden… Demnach muss für die Neuen Bundesländer … nicht nur von einem De-Industrialisierungsprozesse, sondern darüber hinaus auch von einem De-Informatisierungsprozess gesprochen werden …

(3) Vom Untergang muss auch gesprochen werden, wenn bestehende Strukturen durch solche ersetzt werden, die das wissenschaftliche und kulturelle Wachstum einer Region aller Voraussicht nach auf lange Sicht beeinträchtigen. … Die ostdeutsche Volkswirtschaft hat sich angesichts der neuen Eigentumsverhältnisse weitgehend in eine verlängerte Werkbank plus verlängerte Servicebank verwandelt … Die Folgen liegen auf der Hand: eine verminderte Fähigkeit zu einem Wachstum aus eigener Kraft; eine überdurchschnittliche Anfälligkeit für konjunkturelle und strukturelle Krisen; ein permanentes Zurückbleiben hinter den führenden Regionen eines Landes, wobei die Entwicklungs- und Wohlstandslücke auch durch sozialpolitisch motivierte Transfers nicht zu schließen ist …

(4) Typische Argumentationslinien über die neuen Bundesländer: Die alte DDR war auch in ihren Teilsystemen verrottet und ineffizient … Im Informationsbereich war die … Politisierung besonders weit getrieben (so dass hier gegenüber allen Beschäftigten ein „Ideologieverdacht“ zu erheben ist.

(Dagegen wird im Jahresbericht eingewandt:) Mit den Erfordernissen eines „Streamlining“ lässt sich keineswegs eine „Kahlschlagpolitik“ wie die Reduzierung der Mitarbeiterstellen im Verhältnis von 10 zu 1 und schon gar nicht die Auflösung von Informationsvermittlungsstellen – und dies gleichfalls fast im Maßstab von 10 zu 1 – rechtfertigen. Ein allgemeiner „Ideologieverdacht“ gegen die Informationsvermittlungsstellen in den Neuen Bundesländern ist zurückzuweisen: Die Mitarbeiter in den ostdeutschen IVS waren für ihre Aufgaben fachlich gerüstet. Allerdings wurden sie in ihrer Arbeit durch eine technische Unterversorgung und vor allem durch politische Faktoren behindert, zum Beispiel: zentralistische Gängelung auch im Detail; einseitige Konzentration auf technisch-naturwissenschaftliche Daten statt Ergänzung um Wirtschaftsinformationen; Verbot des Zugriffs auf die Informationsbestände westlicher Hosts …

(5) Mit der Hinnahme des Niederganges der Informations-Infrastruktur in den Neuen Bundesländern wurde eine Vernichtung von Humanressourcen großen Ausmaßes zugelassen, und das ausgerechnet im Informationsbereich, wo nach allgemeinem Konsens noch am ehesten zukunftsträchtige Kerne oder Wachstumspole für ein sich aus eigener Kraft entfaltendes regionales Wachstum (inklusive ökologischer und kultureller Ziele) hätten gebildet werden können.

Anders ausgedrückt: Personen und Einrichtungen, die (selbstverständlich in Partnerschaft mit anderen) die wirtschaftliche Entwicklung der Neuen Bundesländer hätten vorantreiben können, wurden in die Arbeitslosigkeit entlassen beziehungsweise aufgelöst, die Regionen der Neuen Bundesländer zentraler Entwicklungspotenziale beraubt. …

(6) Politische Entscheidungen über die den Informationsbereich in den Neuen Bundesländern bestanden bislang darin, im Westen bestehende Strukturen, Lösungen und Verfahren bis in die Details und ohne jeden Versuch einer Anpassung an die spezifischen Bedingungen in den Neuen Bundesländern zu übertragen. Das wird dem State oft he Art der bundesdeutschen Regionalpolitik nicht gerecht. Vielmehr hätte es nach diesem State oft he Art darum gehen müssen, von den spezifischen Entwicklungspotenzialen einer Region auszugehen und diese soweit zu fördern, dass komparative Vorteile zu anderen Regionen entstehen. …

Eigenständige Lösungen für den Informationsbereich in den Neuen Bundesländern wurden nicht gefördert, aber auch kaum entwickelt. Die Westdeutschen setzten ihre eigenen Lösungen als selbstverständlich voraus (die in der eigenen Informationsszene durchaus häufig umstritten sind). Die Ostdeutschen ließen sich überrollen. …

(7) Zu einem erfolgversprechenden Konzept für den Wiederaufbau der Informations-Infrastruktur in den Neuen Bundesländern muss auch gehören, die Zahl der Entscheidungszentren oder vorsichtiger: die Zahl der Informationseinheiten mit erheblichen Dispositionsspielräumen „vor Ort“ zu erhöhen. … Eine neue Informations-Infrastruktur in den Neuen Bundesländern verdiente ihren Namen nicht, wenn die in ihr arbeitenden Personen lediglich Entscheidungen umzusetzen hätten, die in Westdeutschland getroffen wurden. …

Soweit eine Förderpolitik existiert, wird sie bis in die Einzelheiten von westdeutschen Einrichtungen entworfen, entschieden, umgesetzt und überwacht und dies alles nach Rezepten, die nicht vor Ort, sondern in Westdeutschland entwickelt wurden. Anders gesagt: Die Neuen Bundesländer haben keinen Einfluss auf die Evaluierung der Förderprojekte und damit keinen Einfluss auf ihre Anpassung an die Gegebenheiten zum Beispiel der Branche oder Region …

(8) Es ist möglich, die Diskussion über die Informations-Infrastruktur in den Neuen Bundesländern auf breiterer Front fortzusetzen (was „natürlich“ nicht geschehen ist – heutige Anmerkung der Redaktion).

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