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Open Password – Freitag, den 25. Januar 2019

# 501


Gesellschaft Deutscher Chemiker – Rene Deplanque – Wahlen des Jahres – Claas Relotius – Qualitätspresse – SPIEGEL – Reportage -Information Professionals – Dokumentationsjournalisten – Leitbild Belletristik – Faktenchecks – Künstler – Dramaturgie –  Dramatisierung – Leitbild Wissenschaft – Exekutive – Legislative – Strukturkrise – Soziale Medien – Skandalisierung – Boulevardisierung – Rudelbildung – Kampagnen – Christian Wulff – Zeit – Giovanni di Lorenzo – BILD – Rudolf Augstein – Selbstkritik – Institutionalisierte Kritik – UK – Forschungsförderung – Brexit – Change Healthcare – Experian Health – INPI – CAS – Patent Examination – Suchbegriffe – Big Data – AI – Shutdown – Thieme Chemistry – PubChem – NIH – InfoChem – Springer Nature – Deep Matter

Ehrungen

Gmelin-Beilstein-Gedenkmünze
für René Deplanque

Die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) hat dem ehemaligen Geschäftsführer von FIZ Chemie, Prof. Dr. René Deplance, die Gmelin-Beilstein-Gedenkmünze verliehen.

2018/2019:

Die übelste Tat/Entwicklung
des Jahres (II):

Neue Chancen für Information Professionals

 

2018/2019:

Die übelste Tat/Entwicklung
des Jahres (II)

Claas Relotius und die Krise
der Qualitätspresse:

Neue Chancen für Information Professionals

Von Willi Bredemeier

Dritter Teil

 

Die bisher von den Medien geübte Selbstkritik zu den Fälschungen des Claas Relotius im SPEGEL und in praktisch allen weiteren deutschsprachigen Qualitätsmedien und die daraus resultierenden bzw. erwogenen Konsequenzen erscheinen richtig, greifen aber zu kurz. Auch ist zu befürchten, dass die derzeit aufflackernde Selbstkritik ein Strohfeuer bleibt. Eine grundlegendere Kritik an den Qualitätsmedien eröffnet nachhaltigere Auswege aus der Krise und zeigt Chancen für eine bessere Berichterstattung auf. Insbesondere Information Professionals, im SPEGEL Dokumentationsjournalisten genannt, hätten im Falle grundlegender struktureller Reformen der redaktionellen Abläufe gute Aussichten, ihre Aufgabenbereiche zu erweitern.

Der sagenhafte Ruhm des SPEGEL beruhte immer auf zwei Säulen. Die eine war die unerschrockene Berichterstattung und die Lust, „heiße Eisen“ anzupacken. So etwas musste sich in einem Land, das noch vor kurzem totalitär regiert worden war, erst einmal durchsetzen. Darin wurde der SPEGEL für Journalisten deutschlandweit ein Vorbild. Die andere Säule entstand mit dem Aufbau eines Archivs, das dem SPEGEL rigorose Faktenchecks seiner Geschichten vor ihrer Veröffentlichung ermöglichte und ihn befähigte, seine unerschrockene Berichterstattung fortzusetzen, ohne allzu viele Sanktionen befürchten zu müssen und die „erste SPIEGEL-Krise“ in der Auseinandersetzung mit Bundeskanzler Konrad Adenauer („Abgrund von Landesverrat“) und Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Strauss (der den Chefredakteur des SPIEGEL im faschistischen Spanien über den kurzen Dienstweg verhaften ließ) zu überleben.

Nach dieser Krise war die Bundesrepublik nicht mehr die gleiche und wandelte sich (dies auch aus anderen Gründen) von einem autoritären in ein liberales Land. Die Faktenchecks des SPIEGEL führten zu vielen Nachahmerprojekten in den Verlagen und stärkten deutschlandweit die Orientierung an Fakten in der Medienberichterstattung und deren Überprüfung. Eine solche hätte auch der Weimarer Republik gutgetan, wo sich die damaligen Zeitungen stärker um bestätigende Bewertungen ihrer vorgegebenen politischen „Weltanschauung“ kümmerten. ________________________________________________________________________

70 hochspezialisierte Dokumentationsspezialisten, die Relotius bei keiner seiner fünfzig Geschichten für den SPIEGEL überführten.
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Der SPEGEL hat seine Tradition der Faktenchecks hochgehalten und die entsprechenden Praktiken ausgebaut und digitalisiert und beschreibt dies in einer Selbstdarstellung so:

„Den Redaktionen und Ressorts aller Objekte der SPIEGEL-Gruppe stehen 70 hochspezialisierte Dokumentationsjournalisten zur Seite, die sie bei der Recherche im SPIEGEL-Archiv, im Internet und in den Informationsdatenbanken der Welt unterstützen. Neben Lektorat und Recherche ist das „Fact-Checking“, auch Verifikation genannt, Hauptaufgabe der Dokumentationsjournalisten. Dabei prüfen sie die redaktionellen Beiträge auf Plausibilität, verifizieren Fakten wie Namen, Daten und Zitate. Gleiches gilt für Bilder und Grafiken. Ein solchermaßen überprüfter und gegebenenfalls korrigierter Beitrag sichert den Qualitätsjournalismus im SPIEGEL.“

Wenn dem so ist, warum versagte die Dokumentation bei den 50 im SPIEGEL erschienenen Geschichten von Relotius, die womöglich alle gefälscht sind, und wies keine zurück?

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Wird mit Faktenchecks lediglich Sand in die Augen der Leser gestreut, sofern keine Checks zur Themen- und Faktenauswahl, zum Storytelling und zu den getroffenen Bewertungen durchgeführt wurden?
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In den Erörterungen des SPIEGEL dazu wird festgestellt, dass die Überprüfung von Fakten auch durch hochspezialisierte Dokumentationsjournalisten leicht an ihr Ende komme, sobald der Reporter auf seine persönlichen Erfahrungen und Begegnungen als einzige Quelle verweist. Zudem dürfe es bei der Produktion eines Nachrichtenmagazins keinen allgemeinen Betrugsverdacht geben. Vielmehr sei ein „Grundvertrauen“ zwischen dem Journalisten und Information Professional aufrechtzuerhalten.

Soll das heißen: Im Prinzip weitermachen wie bisher und für die Zukunft auf das Beste hoffen, weil wir im Bereich der Verifizierung nicht mehr tun können?

Diese Überlegungen greifen nun wirklich zu kurz. Aus meiner Sicht sollte man zu einer grundsätzlicheren Kritik übergehen und neue Philosophien und Spielregeln, wie eine Zeitung zu machen ist, sowie strukturelle Reformen in den redaktionellen Abläufen für angesagt halten, darunter die Einrichtung weiterer Arbeitsbereiche für die InfoPros in der Dokumentation.

Beginnen wir mit einer Ausgangsfrage, die ich nach dem Vorbild des SPIEGEL zugespitzt formuliere: Was sollen die ganzen Faktenchecks, wenn mit ihnen wenig mehr getan wird als Sand in die Augen der Leser zu streuen, sofern nicht auch zu den folgenden Fragen systematische Checks durchgeführt werden:

  • Auswahl des Themas;
  • Vollständigkeit der Berichterstattung;
  • Arrangement der ausgewählten Fakten zu einer „Geschichte“ und
  • Bewertung der zu publizierenden Fakten und Zusammenhänge.

Damit sind zugleich wünschenswerte neue Aufgabenbereiche für Information Professionals in Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen aufgelistet. Gehen wir sie der Reihe nach durch.

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Wünschenswerte neue Aufgabenbereiche für Information Professionals in Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen.
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Themenauswahl. Der SPIEGEL publiziert zwar relevantere Geschichten als die BILD-Zeitung. Letztere ist ein Musterbeispiel für viele Geschichten, die aus einer intellektuellen Sicht völlig irrelevant sind, mit denen sich aber emotionale Wirkungen außerhalb intellektueller Kontrollen erzielen lassen (beispielsweise, wenn man eine leichte Lektüre während einer U-Bahn-Fahrt womöglich vor der ersten Tasse Kaffee sucht). Die Geschichten des SPIEGEL dürften in Redaktionskonferenzen, Gesprächen zwischen Journalisten und Vorgesetzten, Vorlieben der Top-Ebene usw. ausgewählt werden, wobei eine systematische Reflexion des Auswahlprozesses wie woanders nicht stattfindet. Es dürfte aber eine faktische Auswahl auch nach Kriterien geben, die mit der Relevanz einer Geschichte nur bedingt etwas zu tun haben. Das können zum Beispiel Exklusivität, Aktualität, voraussichtliche Lesbarkeit der Geschichte, politische Grundhaltung des SPIEGEL sowie die Pflege eines philosophischen Grundkonsenses mit der Mehrheit der SPIEGEL-Leser sein.

Zwar ließe sich gegen einen möglichen Check bei der Auswahl von Themen unter Relevanzgesichtspunkten einwenden, dass es dafür keine Kriterien gäbe. Das heißt aber nicht, dass solche nicht zu erarbeiten sind. Auch ließe sich ein Wandel dieser Kriterien intellektuell begleiten. Und hat sich der SPIEGEL nicht bereits mehrere Male erfolgreich als Innovation und Pionier – nicht zuletzt beim ähnlich gelagerten Faktencheck – betätigt?

Ein weiterer möglicher Einwand lautet, dass ein Check der Themenauswahl schwieriger als ein reiner Faktencheck zu bewerkstelligen ist und den Dokumentationsjournalisten ein beachtliches Upgrading abverlangen würde. Aber haben sich die InfoPros nicht immer wieder als Professionals erwiesen, wenn es darum ging, von ihren Basiskompetenzen ausgehend neue „Geschäftsbereiche“ zu erobern und sich entsprechend zu qualifizieren? Solches zeigt ihre Geschichte der letzten Jahrzehnte.

Ein dritter möglicher Einwand lautet, dass ein Check der Auswahl von Themen unter Relevanzgesichtspunkten nicht zu eindeutigen Ergebnissen nach dem Schema „Wahr oder Falsch“ führen kann. In der Tat bedarf ein solcher Check eines ergebnisoffenen argumentativen Diskurses und die Fähigkeit, nach erfolgter Auswahl unterschiedliche Meinungen auszuhalten und zu tolerieren. Allerdings würde es der Qualität der Berichterstattung auf die Dauer guttun, wenn man die Kriterien, nach denen man Entscheidungen zur Auswahl eines Themas trifft, explizit macht und auf die Probe stellt.

Vollständigkeit. Gerade wegen der besonderen „Recherche-Power“ des SPIEGEL dürften bei einer gegebenen Geschichte nach der Recherche wesentlich mehr (auch bislang unveröffentlichte) Fakten vorliegen als publiziert werden können. Welche von ihnen werden veröffentlicht und welche fallen unter den Tisch? Darüber sollte nicht von vornherein eine erwünschte Zuspitzung noch die dramaturgisch gut arrangierte „schöne Schreibe“ entscheiden. Zumindest sollten sich die Verantwortlichen für eine Geschichte mögliche entgegenstehende Argumente bewusst machen und in ihre Entscheidungen einbeziehen.

In mehreren Jahrzehnten habe ich zwei oder drei SPIEGEL-Geschichten gelesen, zu denen ich über Insider-Kenntnisse verfügte. In allen Fällen war ich, auch wenn die Fakten stimmen mochten, über die Einseitigkeit der Darstellung überrascht. Wurden hier die Fakten auf eine Weise aneinandergereiht, um eine bestimmte Botschaft zu verbreiten, die womöglich sogar vorgefasst war? Ähnliche Erfahrungen lassen sich auch ohne Insider-Kenntnisse in SPIEGEL-Ausgaben sammeln und dies sogar bei Titelgeschichten, wo also die vorgegebene Länge nicht zu einer extremen Kürzung der vorhandenen Fakten zwingt. Immer wieder folgt die Darstellung einer bestimmten These, wobei Fakten, Zusammenhänge und Ansichten, die dieser Botschaft widersprechen, vielleicht doch gebracht werden. Aber dann werden sie zu häufig in einem Nebensatz abgetan oder sogar ausdrücklich abgelehnt. Angesichts einer solchen Praxis liegt es nahe, von nur graduellen, nicht prinzipiellen Unterschieden zu den Fabrikationen der Populisten zu sprechen.

Bei einem „Vollständigkeits-Check“ hätten es die Information Professionals leichter als bei der Themenauswahl, weil die Ergebnisse nach einer Wahl zwischen „wichtig“ und „unwichtig“ weniger strittig wären, weil es zu den Standardpraktiken mancher Redaktionen gehört, widersprüchliche Meinungen vollständig einzuholen,  und weil es bereits Erörterungen zu diesem Thema gibt, unter anderem zum Gebot der „ausgewogenen Berichterstattung“ im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Gleichwohl stehen die Wünsche nach „Vollständigkeit“ der in Redaktion und vor allem auch vom SPIEGEL häufig geübten und erwünschten Praxis der inhaltlichen „Zuspitzung“ entgegen.

 

Arrangement der ausgewählten Fakten zu einer Geschichte. Alle SPIEGEL-Geschichten sind süffig zu lesen, und anders als bei den fehlenden Themenauswahl-, Vollständigkeits- und Bewertungschecks gibt es für die Arrangements von SPIEGEL-Geschichten strukturelle Vorgaben, was also beispielsweise im ersten, zweiten und dritten Absatz einer Story zu stehen hat. Ich vermute, dass Leser, die sich an die SPEGEL-Schreibe gewöhnt haben, nach ihr süchtig werden können. Keine Frage, dass diese Strukturierung der SPIEGEL-Geschichten verkaufsfördernd ist. Sie könnte sogar so wichtig sein, dass man von einer dritten Säule des SPIEGEL-Erfolges reden sollte. Allerdings wird öffentlich wenig von ihr hergemacht, weil die SPIEGEL-Stil- und Schreibvorgaben, machte man sie öffentlich explizit, ein wenig anrüchig erscheinen könnten.

Es sollte jedoch klar sein, dass dieses „Storytelling“ nicht von vornherein zu einer „wahren“ und „objektiven“ Berichterstattung führt, vielmehr eine Versuchung geschaffen wird, die „Wahrheit“ einer Geschichte um ihrer Schönheit (oder um der zu vermittelnden möglichst zugespitzten Botschaft) willen zu opfern. Auch liegt der Gedanke nahe, dass Geschichten, will man sprachlich möglichst nah an die zu covernden Ereignisse heran, verschiedener Formate und nicht unbedingt einer bestimmten Dramatisierung bedürfen. Jedenfalls kann es auch der Qualität der Berichterstattung im SPIEGEL auf die Dauer nur guttun, wenn die verordnete „Schreibe“ regelmäßig auf den Prüfstand gestellt wird und dabei auch alternative Textstrukturen und Schreibstile geprüft werden.

Bewertung der zu publizierenden Fakten und Zusammenhänge. Viele Leute, die sich allenfalls am Rande mit den Medien auf der Metaebene befassen, glauben, mit der „Trennung von Nachricht und Kommentar“ eine Essenz redaktioneller Arbeit verstanden zu haben. Sie realisieren nicht, dass auch jede Nachricht von redaktionellen Bewertungen nur so wimmelt. Das gilt sowohl für die Auswahl des Themas als auch für die Auswahl der heranzuziehenden Fakten als auch für das Arrangement der Fakten zu einer Geschichte.

Redaktionen müssten eigentlich in der Lage sein, den Fake von der prinzipiellen Verschiedenheit von Nachricht und Kommentar zu durchschauen (der womöglich einmal eingeführt wurde, um die Orientierung an Fakten in der redaktionellen Arbeit zu etablieren). Daran mag sie ihr induktivistischer und empirizistischer Approach (und ihre eventuelle Orientierung an der Belletristik) hindern, der sie Erwägungen auf der Metaebene geringschätzen lässt. Jedenfalls wird die Praxis der Bewertungen in den Redaktionen und anderswo insoweit von der fälschlichen Annahme einer prinzipiellen Verschiedenheit von Nachricht und Kommentar bestimmt, als diese Folgerungen vorherrschen: Bei Fakten möge der rigorose Faktencheck regieren. Hingegen könne man sich im Bereich der Bewertungen alles erlauben. Schließlich nehmen wir, Journalist, Politiker oder sonst wer, nur unser Grundrecht der Meinungsfreiheit wahr.

Der Aufstieg neuer Medien im Fernsehen und Online-Bereich hat dazu geführt, dass es in der Welt der Bewertungen noch wilder zugeht als bereits zuvor. Nicht die Nachvollziehbarkeit einer Argumentation steht obenan, sondern die Originalität, vielleicht verbunden mit sprachlicher Eleganz, mit der ein Autor zu einer möglicherweise absurden Einschätzung kommt. Bei den Talkshows im Fernsehen haben wir uns längst daran gewöhnt, dass es nie darum geht, gemeinsam zu neuen Erkenntnissen zu kommen, vielmehr die Einschätzung der von Parteien und anderen Interessengruppen entsandten Vertreter von vornherein feststeht und nur nach Fakten und Zusammenhängen gesucht wird, die diese Einschätzung bestätigt. Wenn einer der Diskutanten im dramaturgisch möglichst perfekt organisierten Schlagabtausch mit partiellen Wahrheiten zu einer originellen Bewertung im Detail kommen sollte, müssten wir beinahe erfreut sein.

Rudolf Augstein hat den SPIEGEL „im Zweifelsfall links“ positioniert und sich damit bei aller Faktenorientierung nicht völlig von den „Weltanschauungszeitungen“ freischwimmen können. Auch für diese politische Positionierung hat Augstein über die Jahrzehnte viel Beifall bekommen, wenngleich es den Applaudierenden nicht um das Anstreben einer „wahren“ und „objektiven“ Berichterstattung gehen konnte, vielmehr um eine Integration und eventuell Partizipation in einem politischen Club (der von Adenauer hämisch als Gemeinschaft der „Dr. Lieschen Müller“ bezeichnet wurde). Dem prinzipiellen Sündenfall des Gründers folgten viele SPIEGEL-Geschichten, die es verdient gehabt hätten, vor der Drucklegung in einem rationalen Diskurs unter Beteiligung von Information Professionals mit alternativen Bewertungsmöglichkeiten konfrontiert zu werden.

Gegen einen „Bewertungs-Check“ lassen sich alle jene Einwände geltend machen, die bereits unter „Themenauswahl“ erörtert wurden. Viele dürften der Meinung sein, dass ein Bewertungs-Check gar nicht möglich ist, und manche dürften sogar den Verdacht hegen, hier sollte eine Zensur empfohlen werden. Daran ist richtig, dass ein allgemeiner Konsens über die „einzig richtige Bewertung“ für einen komplexen Zusammenhang nicht gefunden werden kann, und daran ist falsch, dass sich sehr wohl unsinnige Bewertungen zurückweisen lassen, beispielsweise weil in der Argumentation dazu die behaupteten Zusammenhänge zwischen den Fakten nicht stimmen.

Um regelmäßig zu Falsifizierungen teilweise durchaus gängiger Bewertungen zu kommen, wäre es sinnvoll, sich abermals an der Wissenschaft zu orientieren. Diese ist in der Bewertung von Zusammenhängen wesentlich weiter als der Journalismus und die öffentlichen Auseinandersetzungen in Wirtschaft und Politik. Die Orientierung an der freien Bewertungswillkür des Romanautors sollte hingegen in der Freizeit des Journalisten untergebracht werden, wo dieser gern und ganz offen seinen Roman schreiben darf.

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Der InfoPro als „Alter Ego“ des Redakteurs und Reporters.
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Fügen wir unserer ersten Zuspitzung eine zweite hinzu und schenken wir Claas Relotius für einen Augenblick unser Verständnis und unser Bedauern. In den Mittleren Westen geschickt, um die kleingeistigen Hinterwäldler zu porträtieren, die Donald Trump wählen, wollte man nur Fakten von ihm. Aber die Leute, die er traf, waren um vieles liberaler und aufgeschlossener als unser Mainstream die Trump-Wähler sehen möchte, so dass Relotius, wie er in einer E-Mail kundtat, beinahe verzweifelte. Am Ende erfüllte er die an ihn gerichteten informellen inhaltlichen Erwartungen, indem er seine Fakten teilweise fälschte und zum Teil erfand.

Um wieviel einfacher hätten es hier die oberen Etagen des SPIEGEL gehabt, die nicht für Faktensammlungen abgeordnet sind und stattdessen Kommentare schreiben dürfen. Sie hätten es nicht nötig gehabt, Fakten zu fälschen. Vielmehr hätten sie bei der Konkretisierung ihres Themas, ihrer Auswahl der Fakten, ihrer Arrangements von Argumenten zu einer Geschichte und ihren Eintritt in die freie Welt der Bewertungen über so viele Freiheitsspielräume verfügt, dass sie zu jeder Einschätzung hätten kommen können, ohne anschließend belangt zu werden.

Heißt das, dass zwischen den Fabrikationen der Populisten und den Qualitätsmedien keine großen qualitativen Unterschiede bestehen? Das ist nicht der Fall. Zunächst ist die Faktentreue ein hoher Wert für eine Berichterstattung, die sich um Wahrheit und Objektivität bemüht. Ferner ist es nicht so, dass Checks der Themenauswahl, der Vollständigkeit einer Geschichte, des Arrangements der ausgewählten Fakten zu einer Geschichte und der vorgenommenen Bewertungen in der Qualitätspresse nicht vorkämen. Nur erfolgen sie selten vollständig und längst nicht bei jedem, der sie vornehmen sollte. Soweit sie vorkommen, verlaufen sie informell und wohl immer unsystematisch, zumal sie in keiner Weise strukturell in den redaktionellen Abläufen verankert sind. Da kann es leicht vorkommen, dass diese Checks, auch wenn sie beabsichtigt wären, in der Hektik der täglichen Produktion einer Zeitung oder der wöchentlichen Fertigstellung einer Zeitschrift verlorengehen, ohne dass dies auffallen muss.

Eine strukturelle Verankerung der genannten Checks in den redaktionellen Abläufen und eine Zuweisung der Aufgabe an die Information Professionals in der Dokumentation, für die Redakteure in diesen Checks den „Alter Ego“ zu spielen, würde sicherstellen, dass die Checks tatsächlich stattfinden und damit die Qualität der Berichterstattung und das Niveau öffentlicher Auseinandersetzung auf die Dauer nachhaltig erhöhen.

Fänden diese Checks systematisch und vollständig und teilweise formalisiert statt, so käme dies auch der Qualität der recherchierten Fakten zugute, würden die Recherchen doch nunmehr in einem redaktionellen Klima durchgeführt, in der keiner mehr so leicht auf die Idee kommen könnte, es käme bei der Produktion einer Geschichte und bei dem Finden der Fakten dafür nicht so darauf an.

In der Selbstabrechnung des SPIEGEL („Sagen, was ist“ vom 22. Dezember 2018) wurde der Skandal um Claas Relotius von Peter König, seit zwanzig Jahren Spiegel-Abonnent, so gesehen:

„Meinungsjournalismus, Gesinnungsjournalismus, die ekelhafte fake Emotionalisierung der Artikel, das immer öftere Weglassen anderer Sichtweisen und Fakten, die Meinung mit dem Holzhammer auf den Leser einprügeln. Ich möchte ab jetzt (spätestens) ab dem übernächsten SPIEGEL einen komplett anderen SPIEGEL sehen. Keine rührseligen Geschichten mehr, keine Meinungs-/Gesinnungsartikel mehr, klare sachliche neutrale Faktenübersichten, aus denen ich etwas LERNEN kann. Wenn das jetzt so weitergeht, bin ich weg.“ 

Das erscheint mir ebenfalls zugespitzt. Gleichwohl sollten wir auch auf diese Meinung hören.

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