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Open Password – Dienstag,
den 29. Oktober 2019

# 652

 

Zukunft der Informationswissenschaft – Forschungsfronten – User Experience – Ulrike Spree – Usability – ASIS & T – Marcia Bates – Harold Borko – Accessibility – Human Recorded Information – HCI – Informationsverhalten – Lynn Robinson – Tefko Saracevic – Gernot Wersig – Wolfgang G. Stock – Rainer Kuhlen – Präsenz – Universität des Saarlandes – HTW Chur – Cheval – IBI Berlin – HAW Hamburg – HTWK Leipzig – Scopus – IWP – HCI – Journal of Documentation – Information Professionals – ALA – SLA – Anna Knoll – Open Password – Nadine Adler – NMC Horizon Report – Usability-/UX Professionals – German UPA – Certified Professional for Usability and User Experience – Peter Morville – Louis Rosenfeld – Amin Nassehi – Hans-Christoph Hobohm – Rudolf Walther – taz – Theorie der digitalen Gesellschaft – Struktureller Funktionalismus – Talcott Parsons – Niklas Luhmann – Rudolf Walther – Wolfgang Leiberg

 

Furor in der taz
gegen Amin Nassehi

„Die sinnliche Erfahrung sagt mir alles,
was ich wissen muss,
um die Jetzt-Zeit zu begreifen“

Zu: Digitalisierung als dritte Entdeckung der Gesellschaft und als Informationskatastrophe, die keine Folgen hat – „Ein langer Brief an die Informationswissenschaft“- Von Hans-Christoph Hobohm, Fachhochschule Potsdam, in: Open Password, # 642

Hans-Christoph Hobohm hat „Muster – Theorie der digitalen Gesellschaft“ von Armin Nassehi für Open Password aus der Sicht der Informationswissenschaft besprochen. Dem zunächst gleichfalls freundlichen Echo in den Massenmedien folgte nun ein Verriss von Rudolf Walther in der taz (Teaser: „Wenn’s läuft, dann läuft’s – Armin Nassehis gefeiertes Buch „Muster“ möchte eine Theorie der digitalen Gesellschaft sein. Unser Autor entdeckt darin nur Systemtheologie“). https://taz.de/Buch-zur-Soziologie-der-Gesellschaft/!5634072/.

Die Kommentare dazu gingen eher noch unfreundlicher mit Nassehi um, so also wollten die Autoren mit Nassehi den gesamten strukturellen Funktionalismus einschließlich Talcott Parsons und Niklas Luhmann aus den Universitätsbibliotheken fegen. Ich frage mich allerdings, ob man den Autoren gerecht wird, wenn man sie ausschließlich politisch diskutiert und in das Schema „Wir da unten – ihr da oben“ einspeist. Auszüge:

Aus dem Kommentar von Wolfgang Leiberg

„Offenbar braucht wohl in diesen Zeiten jedes so genannte ‘Marktsegment’ seine Hofnarren. Was dem Einfachstrukturierten sein Mario Barth oder Dieter Nuhr, ist dem reflektierten NeoLib wohl sein Armin Nassehi. … Wer den NeoLib gegenwärtiger Prägung aus der sozialen Perspektive von unten erlebt, braucht keine verschwurbelten Gedankengänge mehr als Deutung. Die sinnliche Erfahrung sagt mir alles, was ich wissen muss, um die Jetzt-Zeit zu begreifen. Tag für Tag. Nacht für Nacht.

Wer Nassehi feiern will, mag gerne so tun, als habe er das intellektuelle Rad erfunden. Auf meinem Büchertisch liegen andere Werke.“

Aus der Rezension von Rudolf Walther:

„Alle Operationen sind Verdoppelungen der Welt, die letztlich (!) nur auf sich selbst verweisen.“ Neben zirkulären Beweisführungen sind es Tautologien nach dem Muster von Luhmanns Grundthesen, „jedes System tut, was es tut“, „wenn es läuft, dann läuft es“, die auch Nassehi auf jeder zweiten Seite bewirtschaftet. Hinter solchen Tautologien verbergen sich die nicht explizierten geschichtsphilosophisch grundierten Implikationen der Theorie der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft und ihrer der Neurobiologie entliehenen Antriebsmechanik („Autopoiesis“/„Selbstschaffung“).

Zwanzig Jahre nach Luhmanns Tod sind es nur noch Hard-core-Luhmanninis vom Schlage Armin Nassehis oder Dirk Baeckers, die der seit der Bankenkrise in eine Sackgasse geratenen Systemtheorie die Treue halten. …

Diese Prosa folgt wie jene Nassehis bis in die Diktion den ganz alten theologischen Rechtfertigungsmustern: Gott (oder das System der funktionalen Differenzierung) schuf die Beste aller Welten.

Zukunft der Informationswissenschaft:
Hat die Informationswissenschaft eine Zukunft?

An den Forschungsfronten der Informationswissenschaft:

User Experience und Informationswissenschaft in Deutschland –
Anwendungsfall, Teilgebiet, Nachbardisziplin?

 

Forschung und Lehre im Bereich „User Experience“ an deutschsprachigen Hochschulen

Von Ulrike Spree

Zweiter Teil

2.2 Das Substrat[7] der Informationswissenschaft. Als Informationswissenschaftler wurde zunächst ein Spezialist im Umgang mit wissenschaftlichen und technischen Informationen bezeichnet (vgl. Robinson 2011, S. 2). Auch wenn es der Community bis heute nicht gelungen ist, sich auf eine Definition des Begriffs „Informationswissenschaft“ zu einigen (Zins 2007, Robinson 2009, Kuhlen 2013)[8], ist der Kern der zahlreichen Definitionsvorschläge über die Jahrzehnte stabil geblieben. Informationswissenschaft untersucht die Sammlung, Organisation, Speicherung, das Wiederauffinden (Retrieval) und die Weitergabe von Information (Bates 1999, AISIS&T 2018).

Hier interessiert die Frage, welchen Stellenwert Usability und User Experience in den Informationswissenschaften zugewiesen wird. Folgt man Harold Borko, einem der frühen Vertreter der Informationswissenschaft in den USA, besteht ein unmittelbarer Bezug zwischen Usability und Informationswissenschaften. Für Borko ist die Schaffung der optimalen Zugänglichkeit („accessibility“) und Gebrauchstauglichkeit („usability“) von verarbeiteter („processed“) Information eine zentrale Zielsetzung informationswissenschaftlicher Forschung (Borko 1968, S. 3).[9] In anderen Definitionen wird dieser Bezug weniger explizit formuliert. Bawden und Robinson charakterisieren Informationswissenschaft als Forschungsgebiet, das sich mit „human recorded information“[10] mit Fokus auf die Kommunikationskette aus der Perspektive der Domainanalyse befasst (Bawden & Robinson 2012, S. 4).[11] Der HCI (Human Computer Interaction), der Usability und der Evaluierung von Suchsystemen und -strategien schreiben sie eine wachsende Bedeutung für die Informationswissenschaften zu (S. 141). Zudem sehen sie eine Überlappung zur Erforschung des Informationsverhaltens (S. 190).

Aufschlussreich für die Zielsetzung dieses Beitrages ist die Aussage von Lyn Robinson, die das spezielle Interesse an der Untersuchung des menschlichen Informationsverhaltens unabhängig von der Technologie betont. Sie legt den Fokus auf die Evaluierung von Information mit Blick auf Bedeutung („Semantics“) und Struktur (Robinson 2011, S. 1). Nach Vickery (2009) ist es die Aufgabe des Informationswissenschaftlers, Konstanten des menschlichen Informationsverhaltens und der Organisation von Informationen mit dem Ziel zu analysieren, Muster zu erkennen und diese Erkenntnisse auf das Design von Systemen und Dienstleistungen anzuwenden. Tefko Saracevic ergänzt die Debatte um die Aspekte „Umgang mit der Informationsexplosion“ und „Verwissenschaftlichung aller gesellschaftlichen Lebensbereiche“. Informationswissenschaft beschäftige sich nicht mit Technologie an sich, sondern mit dem Einsatz von Technologie zu Problemlösungen (Saracevic 2010).

Gernot Wersig, einer der Gründerväter der Informationswissenschaft in Deutschland, hebt das Wechselspiel zwischen Wissensnutzung und Informationstechnologie hervor. Er definiert Informationswissenschaft als „die Wissenschaft von der Wissensnutzung unter den Bedingungen der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien“ (Wersig 1993).

Wirft man einen Blick in die beiden für die Informationswissenschaften im deutschsprachigen Bereich maßgeblichen Handbücher „Handbook of Information Science“ (Stock 2013) und die sechste Auflage der „Grundlagen der Praktischen Information und Dokumentation“ (Kuhlen, Semar, Strauch 2013), so wird der Usability in den beiden Werken ein unterschiedlicher Stellenwert beigemessen. Im Einklang mit seiner stark auf die fünf Bereiche Information Retrieval, Wissensrepräsentation, Informetrie, Informationsmarkt und Informationskompetenz fokussierten Auffassung von Informationswissenschaft weist Wolfgang Stock der Usability nur eine Hilfsfunktion zu. Im Register findet sich lediglich ein einziger Nachweis für Usability, und zwar im Zusammenhang mit der Evaluation von Retrievalsystemen (Stock 2013, S. 488). Die „Grundlagen der Praktischen Information und Dokumentation“ widmen im Hauptteil „C Informationsorganisation“ der „Mensch-Computer-Interaktion“ ein eigenes Kapitel. Harald Reiterer und Florian Geyer arbeiten in ihrem Beitrag die „Benutzerfokussierung“ und die „Interdisziplinarität“ als Bezugspunkte zwischen Informationswissenschaft und Mensch-Computer-Interaktion heraus. Mit Rückgriff auf Kuhlens „Theorie infomationeller Mehrwerte“ stellen sie heraus, dass die Tauschwerte von Information(sprodukten) nur dann realisiert werden können, wenn die Nutzer den Gebrauchswert, also die Nützlichkeit, der Produkte erkennen (Reiterer; Geyer 2013, S. 432/33).

 

Zwischenfazit: Halten wir fest, dass sich UX vorrangig mit der Evaluierung von Systemen mit Blick auf die Nutzbarkeit durch Menschen mit dem Ziel der Optimierung beschäftigt. In der Informationswissenschaft wird die Sammlung, Organisation, Speicherung, das Wiederauffinden (Retrieval) und die Weitergabe von Information untersucht. Auf die Beziehung zwischen den beiden Bereichen gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Während aus der einen Perspektive die Usability und Accessibility von Informationen ein konstituierendes Merkmal der Informationswissenschaft ist, hat aus anderen Perspektiven die Usability eher die Funktion einer Methode oder Hilfswissenschaft besonders im Kontext der Evaluierung von (Such-)Systemen.
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3.           Verankerung von Usability und UX in der informationswissenschaftlichen Lehre und Forschung der DACH Region
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Im Folgenden wird der Stellenwert von Usability und User Experience für die deutschsprachige Informationswissenschaft an zwei Beispielen beleuchtet: der Präsenz von Usability und User-Experience sowie Themen in Forschung und Lehre informationswissenschaftlicher Ausbildungseinrichtungen und der Abdeckung von UX-Themen in der Fachzeitschrift IWP (Information Wissenschaft und Praxis, Herausgeber: DGI).

3.1 Präsenz des Themas auf den Webseiten und in den Curricula informationswissenschaftlicher Ausbildungseinrichtungen. Die Webauftritte informationswissenschaftlicher Ausbildungseinrichtungen von 21 Hochschulen (Universitäten und Fachhochschulen) in der DACH-Region (Deutschland, Österreich, Schweiz)[12] wurden daraufhin überprüft, welchen Stellenwert Usability und User Experience haben.  Die explizite Adressierung der „Gestaltung und Evaluierung der Gebrauchstauglichkeit“ als „Schlüsselkonzept“ der Informationswissenschaft findet sich in Deutschland nur auf der Webseite des 2014 eingestellten Studiengangs Informationswissenschaft der Universität des Saarlands. Dort heißt es:

„Das informationsbezogene Erkenntnisinteresse der Informationswissenschaft bezieht sich auf den Nutzungs- und Wirkungszusammenhang von Wissen, Mensch und Technik. Eine der Aufgaben in diesem Begegnungsfeld ist die Schnittstelle zwischen dem informationsverarbeitenden System Mensch und Computer bzw. zwischen der kognitiven Landkarte des Menschen und der Informationsarchitektur des Systems“ (Archiv der Website der FR Informationswissenschaft 2014).[13]

Aktuell bietet nur die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Chur mit Cheval, dem Schweizer Kompetenzzentrum für die Evaluation von Online-Angeboten, angesiedelt am Schweizerischen Institut für Informationswissenschaft (SIL), ausdrücklich „Dienstleistungen aus den Bereichen Usability Engineering bzw. User-Centered Design“ für öffentliche Institutionen und privatwirtschaftliche Unternehmen an (Cheval 2018). Auf zwölf weiteren Webseiten wird auf ein eigenes Usability-Labor auf dem Campus hingewiesen. Unmittelbar an den bibliotheks- und/oder informationswissenschaftlichen Einrichtungen angesiedelt sind die Usability Labore allerdings nur am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaften (IBI) Berlin, an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg, an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) Leipzig und an der Universität Hildesheim.[14]

Soweit sich dies aus den Webauftritten erschließen lässt, ist die Integration von Inhalten und Fragestellungen aus den Bereichen Usability und User Experience sehr unterschiedlich ausgeprägt. Ganze Module oder Teilmodule zu Usability/UX-Engineering und -Evaluation oder Mensch-Maschine-Interaktion (MCI/HCI) bieten das IBI Berlin, die HAW Hamburg, die HTW Chur (diese sogar als eigenen Schwerpunkt – Major), sowie die Universitäten Konstanz, Leipzig und Hildesheim an. Erwähnung findet das Thema ferner in Beschreibungen von Modulen zum Design von Informationssystemen sowie zum Informationsverhalten und/oder zur Informationsdidaktik. Eine kursorische Sichtung der über die Webauftritte zugänglichen Bachelor- und Masterarbeiten (bibliographische Angaben oder Volltexte) zeigt, dass Themen zu Usability und User Experience (vor allem Evaluationen einzelner Informationsangebote) oder Studien zu methodischen Fragen beispielsweise zur Validität von Testmethoden an allen Einrichtungen betreut werden.

Zusammenfassung: Usability und UX werden in unterschiedlichem Ausmaß an vielen informationswissenschaftlichen Ausbildungseinrichtungen schwerpunktmäßig im Kontext der Evaluation, aber auch im Zusammenhang mit der Entwicklung und Gestaltung von Informationsprodukten (Webseiten und zunehmend Apps) gelehrt. Eine methodische Reflexion der Usability und der User Experience findet vor allem im Kontext der Informationssuche statt.

3.2 Fallbeispiel: Usability und UX in informationswissenschaftlichen Publikationen. Eine Recherche über Scopus in der deutschsprachigen Fachzeitschrift „Information, Wissenschaft & Praxis“ (IWP) mit den Suchbegriffen „User Experience“ und „Usability“ erzielt nur eine geringe Trefferzahl (unter drei Prozent). Von den 653 in Scopus nachgewiesenen Artikeln aus den Jahren 2007 bis 2018 wurden in der IWP insgesamt nur 42 Artikel gefunden, in denen die Begriffe überhaupt vorkommen. Nur acht Beiträge, der jüngste aus dem Jahr 2012, enthalten einen der Begriffe im Titel. In weiteren vier Artikeln kommen die Begriffe im Abstract oder in den Schlagworten vor. Eine Ausweitung der Suche auf die Begriffe HCI bzw. Mensch-Maschine-Kommunikation/Interaktion liefert fünf weitere Artikel. Inhaltlich beschränken sich die Artikel auf drei Themenbereiche, teilweise werden in einem Beitrag mehrere der drei Themenbereiche abgedeckt:

  • Evaluation eines Informationsproduktes/Services. Dabei geht es in drei Beiträgen explizit um Suche und Suchmaschinen;
  • Ableitung von Anregungen zum Design von Informationsprodukten oder Services und
  • Entwicklung, Erprobung und Evaluation von Usability- und User-Experience-Methoden (in acht Beiträgen).

Siehe auch die Titelübersicht in Anhang 1.

Diese Recherche wurde mit dem „Journal of Documentation“ wiederholt. Die Ergebnisse sind ähnlich. Von 688 Artikeln enthalten 59 Artikel einen der Begriffe („Usability“ oder „User Experience“) im Abstract und oder in den Schlagworten. In keinem Fall handelt es sich um ein Titelstichwort. Die Artikel lassen sich ähnlich kategorisieren, wobei die genuine Entwicklung, Erprobung und Evaluation von Methoden in keinem der Artikel thematisiert wird. Vielmehr geht es um die Anwendung von UX-Evaluationsmethoden mit dem Ziel, Informationsprodukte und/oder Verhalten zu verstehen und zu optimieren (z. B. Lee 2018). Auch im „Journal of Documentation“ liegt ein Fokus auf der Evaluation von Suchsystemen (acht Beiträge). Besonders viele Beiträge beschäftigen sich mit der Analyse des Informationsverhaltens (34). Im Unterschied zur IWP wird auch die Usability oder User Experience von Wissensorganisationssystemen in einer Reihe von Beiträgen ausdrücklich thematisiert (acht Beiträge).

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  1. Stellenwert von User Experience und Usability in der Berufspraxis von Information Professionals

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“ […] their background in library science is in high demand and greatly utilized” (Bovasso; Leite 2009)

Welchen Stellenwert haben Usability und User Experience in der Berufspraxis von Information Professionals, oder genauer, von Absolventen informationswissenschaftlicher Studiengänge? Die American Library Association (ALA) bezeichnet Personen als Information Professionals, die in ihrem beruflichen Umfeld Informationen strategisch nutzen, um die Mission der Organisation voranzutreiben. Dies geschieht durch die Entwicklung, Erstellung und das Management von Informationsressourcen und -dienstleistungen[15] (Special Libraries Association 2018).

Anna Knoll weist in einem Beitrag in Open Password auf das heterogene Berufsbild von Information Professionals hin. Sie bezieht sich hierbei auf eine nicht repräsentative Studie von Nadine Adler aus dem Jahr 2017. Neben Recherchen und Analysen, Schulungen und Medienmonitoring wird an den 23 befragten Informationsvermittlungsstellen eine Vielzahl unterschiedlicher Services angeboten. Explizit wird in diesen Studien nicht auf Usability und User Experience eingegangen. Allerdings prognostiziert Anna Knoll, dass die Anforderungen an die Informationsspezialisten, „Hilfe zur Selbsthilfe“ anzubieten und „Endanwender“ von Datenbanken zu eigenen Recherchen zu befähigen, eine immer wichtigere Kompetenz werden (Knoll 2018).

In der „Library Edition“ des „NMC Horizon Report 2017“ (NMC für „New Media Consortium“) wird darüber hinaus die wachsende Bedeutung von Kompetenzen im Bereich Usability/User Experience für das Berufsbild herausgestellt. Der Bericht identifiziert eine steigende Wertschätzung der User Experience in Bibliotheken und hebt die Gestaltung der Angebote von Bibliotheken nach den Präferenzen ihrer Nutzer hervor (Vgl. NMC Horizon Report 2017).

Das Berufsbild des Usability-/UX-Professionals scheint auf den ersten Blick stärker eingegrenzt als das des Information Professional:

„Ein Usability/UX-Professional ist eine Person, die qualifiziert und methodisch die Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit (Usability) interaktiver Systeme (Hardware und Software) herleitet, umsetzt oder deren Umsetzung überprüft“ (UPA 2010, S. 11).

Schaut man sich allerdings die Ausprägungen der Tätigkeiten an, in der Terminologie der UPA als „Prozessrollen“ bezeichnet, so wird deutlich, wie facettenreich auch dieses Berufsbild tatsächlich ist. Es reicht von der Analyse des Nutzungskontextes und der Anforderungen sowie der darauf aufbauenden Konzeptentwicklung von Backend und Frontend bis zur Umsetzung einschließlich Design und Layout. Dabei werden alle Tätigkeiten der Entwicklung und Gestaltung eines (digitalen) Produktes einbezogen. In der Regel geht es um Webanwendungen, wobei die UPA explizit betont, dass sich ein Usability-/UX-Professional in der Regel auf ausgewählte Arbeitsschwerpunkte spezialisiert[16] (German UPA 2010, S. 11).

Angesichts dieser sehr unterschiedlichen Anforderungen ist es nicht verwunderlich, dass UX-Professionals nicht selten Quereinsteiger mit unterschiedlichem Hintergrund sind. In Stellenanzeigen werden häufig explizit Psychologie, Informatik, Medieninformatik, InteractionDesign, Mensch-Maschine-Interaktion, aber auch Informationswissenschaft und -management genannt (German UPA 2018a). Der „Berufsverband der Deutschen Usability und User Experience Professionals“ reagiert hierauf unter anderem mit einem Zertifizierungsangebot zum „Certified Professional for Usability and User Experience“. Das Curriculum sieht nach einer Basiszertifizierung Spezialisierungen in den Bereichen Testing und Evaluation, User Requirements Engineering sowie Interaction, Information Architecture und Prototyping vor, um der Vielfalt der geforderten Kompetenzen gerecht zu werden (German UPA 2018b).

Überschneidungen zum Kompetenzfeld von Bibliotheks- und Informationswissenschaftlern bestehen besonders im Bereich „Information Architecture“. Information Architecture bezeichnet die Strukturierung und Organisierung, die Benennung sowie die Implementierung von Such- und Navigationssystemen von (digitalen) Informationsprodukten (Morville; Rosenfeld 2007, S. 4). Peter Morville und Louis Rosenfeld, die beiden Autoren der wohl einflussreichsten Monographie auf dem Gebiet der Informationsarchitektur, „Information Architecture for the World Wide Web“ (erste Auflage 1999), haben beide einen Abschluss in „Information and Library Studies“ der Universität Michigan ((Morville; Rosenfeld 2007, S. 504). Bis heute sind sie als Autoren, Berater und Gutachter in der UX-Szene sehr aktiv und werden nicht müde, den engen Zusammenhang zwischen Informationsverhalten und User Experience zu betonen (Morville 2014). James Kalbach, der mit dem Titel „Designing Web Navigation“ (2007) bekannt wurde, hat einen Masterabschluss in „Library- and Information Science“ der Rutgers University.[17] Als letztes Beispiel für den engen Zusammenhang zwischen LIS und UX sei noch der in der Szene bis heute einflussreiche Blog – die Herausgeber sprechen von „peer-written journal“ – „Boxes and Arrows“ genannt, der von Christina Wodtke 2001 gegründet wurde (Boxes and Arrows 2018). Anders als Kalbach, Morville und Rosenfeld hat Wodtke allerdings einen Abschluss an einer Kunsthochschule und sich erst später auf den Bereich „Informationsarchitektur“ spezialisiert (Argus 2001).

Gemeinsam ist den genannten Personen, dass sie sich vor allem als Reaktion auf Morvilles und Rosenfelds Publikation „Information Architecture for the World Wide Web“ in dem Information Architecture Institute (IAI) zusammengefunden haben, das 2002 auf Initiative von Rosenfeld gegründet wurde[18]. Das IAI sieht die Aufgabe der Informationsarchitektur vorrangig darin, den Zusammenhang zwischen Teilen eines Ganzen verständlich zu machen („Information architecture is the practice of deciding how to arrange the parts of something to be understandable.“)

Bislang wissen wir nicht, wie hoch der Anteil von UX-Professionals mit einem bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Abschluss tatsächlich ist. Es zeigt sich jedoch, dass einige unserer Absolventen der bibliotheks- und informationswissenschaftlichen Studiengänge einen Berufseinstieg in der User Experience gefunden haben (Belami 2018; Universität Regensburg 2018). Als Gründe für ihre besondere Eignung für das Berufsfeld „UX“ werden angeführt: Kompetenzen in der Informations- und Datenstrukturierung, Kenntnisse über Metadaten, Erfahrung im Bereich User Research (Nutzerforschung), nutzerzentriertes Serviceverständnis, Organisationstalent sowie Grundlagen der Webentwicklung und -technologie (HTML, XML, Linked Data) (Bovasso; Leitte 2009).

Zusammenfassung: Absolventinnen und Absolventen informationswissenschaftlicher Studiengänge sind als UX-Professionals tätig. Überschneidungen zwischen den Informationswissenschaften und UX zeigen sich vor allem auf dem Feld der Informationsarchitektur.

Lesen Sie in der abschließenden Folge: User Experience und Informationswissenschaft in Deutschland – Anwendungsfall, Teilgebiet, Nachbardisziplin?

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