Ein Brief an die Branche von Michael Klems
Seit nunmehr mehreren Wochen bereitet die Datenschutzgrundverordnung den Betreibern von Webseiten und Inhabern von Mitgliederlisten schlaflose Nächte. Damit nicht genug wartet die EU mit einer weiteren Reform auf, der gegenüber die DSGVO eine kleine Nummer ist. Das EU-Leistungsschutzrecht (1) hat sich in den Vorbereitungen für die parlamentarische Abstimmung zu einem Lobby-Produkt der Verleger entwickelt und wird die Meinungsvielfalt des Internet verringern und das Teilen von Medienbeiträgen weitgehend aufheben. Sollten Sie der Meinung sein, dass nur die großen Online-Portale betroffen sind, rate ich zur Vorsicht. Auch das pure Verlinken auf einen Pressebeitrag in einem Blogartikel kann zum juristischen Fallstrick werden. Bereits jetzt wird debattiert, ob ein Link mit den Artikelbegriffen in der URL als Snippet zu werten ist (2). Kurze Zeit vor der Abstimmung des EU-Parlaments über das EU-Urheberrecht ist es an der Zeit, dass Sie und ich eine Debatte beginnen, was diese Entwicklungen der Informationsbranche und den Information Professionals bringen.
Nehmen wir an, die EU-Parlamentarier in ihrer geballten Online-Kompetenz hätten dem Leistungsschutzrecht der Verleger zugestimmt. Nunmehr schlägt der Upload-Filter auf den Social-Media-Diensten wie Facebook, Twitter, Instagram, Pinterest und YouTube jedes Mal an, sobald Sie versuchen, einen Beitrag aus einem Verlagsobjekt zu posten.
Austrocknung der sozialen Kanäle
Die Online-Filter führen dazu, dass die Inhalte der Fachzeitschriften und Tageszeitungen größtenteils aus den sozialen Medien verschwinden, sobald Facebook und Co. den Filter als Sperre eingerichtet haben. Damit geht die mediale Vielfalt zurück und können wichtige Nachrichtenkanäle nicht mehr als Vergewisserung seriöser Berichterstattung, als Korrekturinstanz für Fake News und als Qualitätsmodell für die Beschicker sozialer Medien dienen. Nachdem die Anwender notgedrungen auf andere Quellen ausgewichen sind und nunmehr weitgehend auf Blogbeiträge und Postings von Nutzern setzen, kommt es zu einer einseitigen und tendenziösen Befütterung mit Nachrichten. Es ist zu befürchten, dass Fake News Tür und Tor geöffnet werden.
Der Kuratierung fehlen die Medien: Viele Berater bieten in ihrem Angebotsportfolio das Kuratieren von Content im Portfolio an. Hierzu gehört das gezielte Teilen von Beiträgen auf Kanälen wie Facebook und Twitter. Selbstverständlich sind bislang Beiträge aus Verlagsobjekten fleißig geteilt worden. Nach der Einrichtung von Filtern als Sperren wird es durchweg schwieriger, qualitativ hochwertige Materialien für soziale Medien zu finden. Die Influencer wandern ab oder stellen ihr Engagement ein.
Pressedatenbanken im Aufwind
Was machen die Anwender, die bislang von Influencern und Kuratoren versorgt wurden? Der Anwender muss sich nun selbst auf den Weg machen und Informationen recherchieren und auswerten. Auch die Influencer werden sich neue Informationspools zum Auffinden von Nachrichten suchen. Beginnt damit die große Stunde der Pressedatenbanken bei Hosts wie Genios und LexisNexis? Im Prinzip ein spannender Ansatz, der die Attraktivität von Fachdatenbanken als Auswertungsmedium tatsächlich erhöhen könnte. Dem steht jedoch ein zentraler Faktor entgegen. Der Aufruf eines Pressebeitrages aus einer Datenbank kostet Geld. Die Verleger haben mit dem Verteilen kostenfreier Artikel selbst dafür gesorgt, dass die Zahlungsbereitschaft der Nutzer für Informationen und insbesondere für Nachrichten gering ist.
Können die Verlage und ihre Aggregatoren die Anwender aus ihrer Nullkostenmentalität herausholen? Womöglich ja, wenn der Anwender vor die Alternative gestellt wird, entweder zu zahlen oder überhaupt keine abgesicherten Informationen zu bekommen. Um das zu erreichen, müssten sich die Informationsanbieter aber erst einmal einig werden. Zudem bedürfte es einiger Zeit, um die Überzeugungsarbeiter an den Anwender wirken zu lassen. Ich schätze mal, das dauert mindestens fünf Jahre wenn nicht mehr.
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Bessere publizistische Chancen für Information Professionals, aber auch Gefährdung durch neue Wettbewerber: Information Professionals sind qualifiziert, Informationen zu sammeln und zu bündeln. Das sind gute Voraussetzungen für ein Publishing in eigener Regie. Durch das Leistungsschutzrecht ist das Netz leerer und somit eine Positionierung mit einem Fachblog leichter geworden. Da Sie über die Rechte an Ihren eigenen Inhalten verfügen und diese grundsätzlich für ein Teilen freigeben können, steigen auch Ihre Chancen, dass Sie von anderen im Netz bekannt gemacht werden.
Was für Sie eine Chance ist, ist aber auch eine Chance für andere. Da die Markteintrittsbarrieren für Blogger gering sind, können neue Blogger in den publizistischen Wettbewerb eintreten, die die neuesten Recherchewerkzeuge einsetzen und womöglich die Information Professionals in der Außenwahrnehmung verdrängen.
Sie sehen, wie das DSGVO, so hat auch das Europäische Leistungsschutzrecht Auswirkungen auf uns. Was immer im digitalen Biotop passiert, irgendwie schlägt es auf alle im Tümpel durch, die dort mitschwimmen. Umso bedauerlicher ist, wenn unsere Branche mal wieder in ihr kollektives Schweigen versunken ist. So verlieren wir unseren Expertenstatus, wenn wir diesen nicht längst aufgegeben haben.
Herzliche Grüße sendet Michael Klems
(1) Leistungsschutzrecht für Presseverleger. Wikipedia. https://de.wikipedia.org/wiki/Leistungsschutzrecht_f%C3%BCr_Presseverleger
(2) EU Staaten einigen sich auf Upload Filter- und Leistungsschutzrecht. Heise Online, https://www.heise.de/newsticker/meldung/Copyright-Reform-EU-Staaten-einigen-sich-auf-Upload-Filter-und-Leistungsschutzrecht-4059219.html
Schlag gegen die Netzfreiheit. Heise Online.
https://netzpolitik.org/2018/schlag-gegen-die-netzfreiheit-eu-abgeordnete-treffen-vorentscheid-fuer-uploadfilter-und-leistungsschutzrecht/
Hinweis zu diesem Beitrag
Dieser Beitrag ist am 25.06.2018 im Pushdienst von Open Password erschienen. Regelmässig jeden Montag schreibe ich in der Montagsausgabe des Pushdienstes einen Brief an die Branche der Information Professionals. Sie könnend en Pushdienst kostenfrei beziehen.